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Populismus-Debatte bei BundespräsidentBürger, macht euch auf ins System!

Frank-Walter Steinmeier sucht mit Intellektuellen nach Auswegen aus der Krise der Demokratie. Die Klage über den „bösen Populismus“ bleibt aus.

Nachmittagsthema in Bellevue: die Demokratieferne Foto: dpa

Bei den Kommunalwahlen in Thüringen konnten die Parteien kaum genug KandidatInnen auftreiben. Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist das ein Indiz für die Krise der Demokratie. Handfestes Anzeichen sei der Aufstieg der populistischen Parteien, die „massiv Stimmung machen gegen ein angebliches Machtkartell der Eliten in Politik, Medien und Wirtschaft und beanspruchen, alleinige Vertreter des ,wahren Volkswillens' zu sein“. So weit der Problemaufriss.

Für die nähere Skizzierung waren am Dienstag drei Intellektuelle ins Schloss Bellevue geladen: der deutsche Rechtsphilosoph Christoph Möllers und zwei PopulismusexpertInnen. Erfreulicherweise blieb die Gratis-Moralübung „Wir klagen alle zusammen über den bösen Populismus“ aus.

Für Möllers, eloquent und jung, ist der Aufstieg der Demokratieverächter nur möglich, weil die liberale Mitte sich nicht zur entschlossenen Verteidigung des Systems aufraffen mag. Statt sich in Kommunalparlamenten mit Details herumzuschlagen, spendet das weltoffene Bürgertum lieber an Greenpeace. Zu wenig, findet Möllers, der das als Selbstkritik meint. Wenn alle nur Forderungen an die Demokratie stellen, aber niemand mehr im Maschinenraum Dienst tut, geht das nicht gut aus.

„Die Zivilgesellschaft“, so Möllers zugespitzt, „ist der Einstieg des Bürgertums in die Antipolitik.“ Die Parole laute daher nicht, Kitas zu gründen, erst recht nicht: Bürger auf die Barrikaden. Sondern: Bürger in die Ortsvereine der Parteien! Das ist ein anspruchsvolles, langwieriges, unbequemes Programm, das ohne jedes Weltverbesserungspathos durchgehalten werden will. Steinmeier gefiel diese Idee ausnehmend gut. Doch mehr als der Appell an die Bürgerpflicht, notleidenden Parteien und Institutionen unter die Arme zu greifen, ist das letztlich auch nicht.

Verständnis fürs gemeinsame Stirnrunzeln

Die Sozialwissenschaftlerin Donatella della Porta sieht die Demokratiekrise weniger dramatisch. Kein Wunder: Man ist da in Italien seit Jahrzehnten einiges gewöhnt. Steinmeier betrachtet die „Fünf-Sterne-Bewegung“, die womöglich regieren wird, mit typisch deutschem Stirnrunzeln – della Porta als hoffnungsvollen Versuch, die Demokratie wieder zu beatmen. Leider verstellte sie ihre frischen Analysen mit viel sozialwissenschaftlichem Ungefähr.

Der Belgier David Van Reybrouck hält den Aufstieg der Populisten für das Echo von Ungleichheit. Die Akademiker haben die Parlamente gekapert, der Populismus ist der Ausweg jener, die keine Bildungsaufsteiger sind – das hat Reybrouck hellsichtig schon vor zehn Jahren in einem schmalen Band dargelegt. Wer von Populismus redet, darf von Herrschaft der Eliten nicht schweigen.

Weniger überzeugend ist indes Reybroucks Lösung – so viele Losverfahren wie möglich, die er als Vitaminspritzen für kränkelnde Demokratien empfiehlt. Denn nur Losverfahren garantieren einen zufälligen, egalitären Zugang zu den Institutionen. Da konnte man das gemeinsame Stirn­runzeln von Möllers und Steinmeier schon besser ­verstehen.

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9 Kommentare

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  • Führt Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident jetzt mit der geistigen Elite einen Diskurs darüber, warum Leute wie Frank-Walter Steinmeier als Außenminister, diese Demokratie beschädigen und ad absurdum führen? Hmm, das Dilemma kann wirklich nur noch ein hochdotierter Think-Tank so in abgedroschene Phrasen hüllen, dass Oma und Opa Konservativwähler es mal wieder glauben und wählen.

    • @Weidle Stefan:

      FWS war als Kanzleramtsminister noch viel schädlicher für die Demokratie.

       

      Aber wenn man nur genug Dreck am Stecken hat bekommt man statt ner Zelle halt n Schloß

  • Mehr Demokratie wagen, das gilt immer noch. Leider sind die Parteien strukturell das wichtigste Hemmnis für mehr Demokratie und schnellere und radikalere Veränderungen. Die Parteien sind einfach grundsätzlich konservativ, ein Sammelbecken der Verhinderer, sie absorbieren und vernichten Energie, die sich ganz natürlich zunehmend "unpolitischere" Formen sucht. Direkte Demokratie und sogar auch Losverfahren sind dringend benötigte belebende Elemente. Natürlich wächst durch Plebiszite auch die Kraft populistischer Strömungen, aber wer ist denn populistischer als die Parteien? Die eigentliche Ursache dieser Gefahr ist jedenfalls die jetzt vielfach empfundene Ohnmacht. Dringend geschwächt werden muss auch der Einfluss von Interessenverbänden, auch diesbezüglich spielen die Parteien eine sehr fragwürdige Rolle. Parteiendemokratie ist schon vernünftig, sie braucht nur gerade jetzt dringend einen Tritt in den Hintern.

  • Nach den Auswege aus den Krisen unserer Demokratie zu suchen ist ja ein ehrenwertes Anliegen. Lösungsvorschläge und Konzepte gibt es so viele, wie seit 50 Jahren in den Schubladen und Archiven der Bundesregierung, dem Bundeskanzler Amt und dem Bundespräsidial Amt schlummern.

     

    Vielleicht hilft es uns ja in einem freien "Bundes Bürger Senat" für Umwelt, Soziales, Arbeit, Kultur und Bildung unsere Anliegen vorzutragen.

  • als hier zugezogener im Süden der Nation, in einer Kleinstadt mit primär schwarz Wählenden, mit einer mini SPD und weniger als 10 Linke-Wähler auf 3000 Bürger, mit einem Gemeinderat aus hier geborenen, mit vergl. großem und durch die Preise hier wertvollem Grundbesitz, oftmals selbstständige die sich hier quasi selbst Aufträge erteilen können...

     

    Will ich da mitmachen? NEIN!

     

    und dann in welcher Partei? kenne keine mit mehr als 70-75% Übereinstimmung. Könnte ich eine solche Partei vertreten wenn ich die schon nur mit Bauchschmerzen wähle? NEIN!

     

    PS: die Athener Demokratie war Los-basiert und bestand länger als die unsrigen bisher...

  • 6G
    65522 (Profil gelöscht)

    "..... weil die liberale Mitte sich nicht zur entschlossenen Verteidigung des Systems aufraffen mag. .... "

    Deshalb ist sie "die liberale Mitte", als Teil des Problems. Die lassen lieber andere die Kohlen aus dem Feuer holen, welche nicht soviel zu verlieren haben und dann folgt die Gewalt.. Siehe Griechenland - Demokratie bei Staatsbankrott - bis zur physischen Erschöpfung. Wetten, die liberale Mitte erholt sich zuerst.

  • Ich sehe die Demokratie überhaupt nicht kränkeln. Die ist kerngesund. Die Parteien der GroKo sind angeschlagen und schon wächst ein bunter Strauß rot, grün, gelb, blauer politischer Alternativen.

  • Als Architekt der Agenda-Reformen müsste eigentlich der BPFWS nicht weit suchen...

  • Schwieriges Unterfangen, eine Lösung zu finden, wenn man selbst ein erheblicher Teil des Problems ist! Gestalten wie Steinmeier haben mit ihrer Ideen- und Tatenlosigkeit den "Populismus" erst groß gemacht!