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Wider den Kleingeist im kaiserlichen Wien

Otto Wagner war einer der ganz großen Wiener Architekten. Eine Ausstellung des Wien Museum erlaubt einen völlig neuen Blick auf sein Werk. Sie zeigt auch, was der Modernist nicht bauen durfte: Auch für den Berliner Reichstag hat er einen Entwurf gezeichnet

Von Ralf Leonhard

An Otto Wagner kommt man bei einem Wienbesuch nicht vorbei. Die Fassade der berühmten Postsparkasse ist Ansichtskartenmotiv, die Kirche am Steinhof ein beliebtes Ausflugsziel, und wer mit der U6 fährt, kennt die durch Wagners Sonnenblumengitter gesicherten Brücken und verlässt vielleicht die U-Bahn durch eines der von Otto Wagner gestalteten Sta­tions­gebäude. Kein Architekt hat die Wiener Moderne so geprägt wie der am 11. April vor hundert Jahren gestorbene Otto Wagner. Deswegen verwundert es, dass die letzte Großausstellung 55 Jahre zurückliegt.

Das Wien Museum bemüht sich nun, diese jahrzehntelange Vernachlässigung wiedergutzumachen – und lässt staunen über all das, was der große Architekt nicht bauen durfte. Angefangen beim Stadtmuseum auf dem Karlsplatz, dessen Modell den Besucher gleich am Eingang in die opulente Welt des Fin de Siècle holt. In diesem Gebäude würde die Schau jetzt stattfinden, wären die Pläne Wagners verwirklicht worden. Eine Karikatur dokumentiert die damalige Polemik um den modernen Bau neben der barocken Karlskirche. Otto Wagner wird darin von deren Baumeister Johann Bernhard Fischer von Erlach getröstet: „In hundert Jahren gefällt’s den Leuten dann ausgezeichnet.“ Den Zeitgenossen war das Projekt aber doch zu modern, und auch der christsoziale Bürgermeister Karl Lueger, an den sich Wagner anbiederte, verweigerte sein Sanctus.

Dass Otto Wagners Entwürfe nicht nur in einschlägigen Zirkeln, sondern auch in den Tageszeitungen heftig diskutiert wurden, zeugt vom breiten Interesse für Architektur im Wien der Gründerzeit. Die Wertschätzung, die der Pionier verdiente, wurde ihm aber von den Zeitgenossen verwehrt. Zwar durfte er 1884 eine Professur an der Akademie der bildenden Künste antreten, doch sorgte das auf seiner Antrittsvorlesung basierende Werk „Moderne Architektur“ für Polemik. Es gilt heute als Gründungsmanifest einer vom Historismus befreiten Baukunst des 20. Jahrhunderts.

Zeitgenössische Kritiker stießen sich schon am Begriff „modern“, und ein anonymer Pamphletist warf ihm vor, er sei „ein versierter Klassizist, der seine Seele an die Moderne verkauft“ habe. Dass Wagner 1900 aus dem Künstlerhaus austrat und sich der von Rebellen wie Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann gegründeten Secession anschloss, hat seine Karriere auch nicht befördert.

Man warf Wagner vor, er sei „ein versierter Klassizist, der seine Seele an die Moderne verkauft“ habe

„Der Kleingeist im Wien seiner Zeit“, sagt Kokurator An­dreas Nierhaus, habe Otto Wagner viele Niederlagen bereitet. Vor allem der Thronfolger Franz Ferdinand, der sich ab 1900 verstärkt in die Kulturpolitik des Reichs eingemischt habe, sei maßgeblich verantwortlich dafür gewesen, dass Wagner nur einen Bruchteil seiner Projekte in Wien verwirklichen durfte. Die Abneigung beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Als der Erzherzog dann im Juni 1914 in Sarajewo einem folgenschweren Attentat zum Opfer fiel, notierte Otto Wagner in seinem Tagebuch: „Ein großes Glück für Österreich.“

Für ihn selbst und seine Bauvorhaben sollte der Zusammenbruch der Monarchie allerdings keine neuen Aufträge bringen. Seine für ein Großreich konzipierten Projekte, wie die Erweiterung der Hofburg samt Reiterdenkmal von Kaiser Franz Joseph oder der großzügig durchkomponierte Entwurf für einen noch gar nicht existierenden Bezirk an der südlichen Peripherie blieben ebenso in der Schublade, wie die Skizzen zum Neubau der Akademie der bildenden Künste oder ein gigantomanisches Forum der Künste.

Die Ausstellung von Modellen, Entwürfen, Fotos, Gemälden, Briefen und Filmen ist in zwölf chronologische Kapitel gegliedert und nimmt den gesamten ersten Stock des Museums ein. Dass Wagner nicht nur im Großen gedacht hat, beweisen die innenarchitektonischen Details, auf die er auch in der verschwiegenste Ecke noch Wert legte: von der silbernen Teekanne über die Schreibtischgarnitur bis zur Haarbürste und dem Toilettespiegel. Handlichkeit und Hygiene standen dabei im Vordergrund. Seine gläserne Badewanne genießt heute Kultstatus.

Zwischen 1850 und 1910 explodierte die Stadt durch die Zuwanderung aus allen Teilen der Monarchie von 500.000 auf 2 Millionen Einwohner. Die dadurch entstehende Wohnungsnot interessierte Otto Wagner wenig. Durch den Bau, Kauf und Verkauf von ertragreichen Zinshäusern konnte er vielmehr die ökonomische Unabhängigkeit erlangen, die es ihm erlaubte, seine Architektur nicht dem Zeitgeschmack anzupassen. Während Wagner selbst also wenig Interesse für die drängende soziale Frage in der rasch expandierenden Stadt zeigte, verstanden es seine Schüler, sich auf die neue Zeit einzustellen, und spielten eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des Roten Wien nach dem Ersten Weltkrieg.

Links das Nussdorfer Wehr, rechts das von Otto Wagner gebaute Mietshaus Linke Wienzeile 40, 1898 Foto: Wolfgang Thaler/Wien Museum

Wagner hat zwar fast sein ganzes Schaffen auf seine Heimatstadt konzentriert, beteiligte sich aber doch an zahlreichen Wettbewerben im Ausland. Auch in Deutschland, sagt An­dreas Nierhaus, sei Otto Wagner unverstanden geblieben. Deswegen sind seine Entwürfe für den Berliner Reichstag und den Dom wenig bekannt. In Ungarn durfte er zwar die Hauptsynagoge bauen, seine Ideen für das Parlamentsgebäude am Donauufer wurden aber nicht verwirklicht.

Womit sich Wagner von seinen klassizistischen Zeitgenossen abhob, war nicht nur der schnörkellose Stil, sondern auch die Verwendung neuartiger Materialien. So ersetzte er Silber durch Aluminium und Goldverzierung durch die Kupferlegierung Tombak.

Privat brach Wagner aus einer unglücklichen Ehe „mit einem dummen Nockerl“ aus und trat in die unitarische Kirche über, um seine 18 Jahre jüngere Geliebte Louise Stiffel heiraten zu können. Nach ihrem frühen Tod 1915 zog er sich immer weiter zurück und starb 1918 an Entkräftung.

Bis 7. Oktober, Wien Museum. Das Wiener Hofmobiliendepot zeigt im selben Zeitraum die Ausstellung „Wagner, Hoffmann, Loos und das Möbeldesign der Wiener Moderne“

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