piwik no script img

„Eine Lektion in Demut tut dem HSV ganz gut“

Der Altpunk und Wirt der Werder-Bremen-Kneipe „Eisen“, Fernando Guerrero, über seine gemischten Gefühle beim Abstieg des Hamburger SV

Foto: privat

Fernando Guerrero, 53, Geschäftsführer der Werder-Kneipe „Eisen“ im Bremer Viertel. Dauerkartenbesitzer von Werder Bremen und St. Pauli.

Interview Gareth Joswig

taz: Herr Guerrero, warum sind in Ihrer Werder-Kneipe „Eisen“ erhängte HSV-Maskottchen unerwünscht?

Fernando Guerrero: Kurz nach dem HSV-Abstieg vergangenen Samstag sah ich eine Menschentraube mit gezückten Smartphones direkt vorm „Eisen“ Fotos machen. Das Motiv war ein nicht gerade nett behandeltes HSV-Maskottchen. Ich habe das sofort unterbunden und freundlich, aber nachdrücklich erklärt, warum wir so etwas bei uns nicht dulden. Wir können schlecht einerseits wertschätzenden Umgang propagieren und zugleich Häme hart an der Geschmacksgrenze Raum geben.

Aber es war doch nur der HSV-Dino. Müsste das nicht aufgrund der traditionellen Vereinsrivalität in einer Werder-Kneipe erlaubt sein?

Wir sind eine Werder-Kneipe, seit es den Laden gibt – ich selber gehe seit meiner Kindheit ins Stadion und bin total Werder-verrückt. Doch wir behandeln Gästefans immer freundlich, solange sie sich anständig benehmen, denn uns verbindet ja die Liebe zum Fußball. Ich habe sogar gelegentlich schon Werder-Fans rausschmeißen müssen, die meinten, sie könnten Gästefans grundlos anpöbeln und kriegen dafür hier Rückendeckung.

Hatten Sie denn überhaupt keinen Spaß am HSV-Abstieg?

Doch! Aber meine Gefühlslage ist eher vielschichtig. Den einen HSV gibt es ja nicht: Es gibt die von Funktionären geprägte Großmannssucht und Intrigen abseits des Platzes – als Krönung Sugardaddy Klaus-Michael Kühne. Dann gibt es die Spieler auf dem Platz mit unterschiedlich emotionalen Beziehungen zu ihrem Verein oder die durchgeknallten Fans mit ihrer Pyromanie und den ganzen Weltstadt-Größenwahn – das alles ist eher unsympathisch. Aber da sind eben auch ganz normale, supernette Menschen, die einfach nach der Geburt bei der Verteilung der Vereine ein bisschen Pech hatten.

Was hat vor dem Spieltag überwogen?

Wenn ich die Großmannssucht mit dem unverschämten sportlichen Glück verband, das der HSV in den letzten sechs Jahren hatte, schrie alles in mir: Lass die endlich absteigen! Ich ertrage keine weitere Saison, in der die sich durchschummeln, um sofort wieder die Jagd auf Champions-League-Plätze auszurufen, während gleichzeitig solide wirtschaftende Vereine wie Freiburg oder Mainz absteigen müssen.

Was ist passiert, als der HSV endlich abgestiegen war?

Nachdem dann auch noch die Rauchbomben losgingen, sah ich die leeren Gesichter der Fans und der Spieler und fühlte plötzlich mit. Ich kann mich einfach nicht freuen, wenn es anderen Leuten schlecht geht. Natürlich gibt es ein bisschen Genugtuung für die Anteile des HSV, die den Abstieg verdient haben, aber ich mag keine Häme, wenn es Leuten schlecht geht, die einfach nur ihren Verein genauso lieben wie ich meinen Verein.

Hat sich das wieder etwas gebessert?

Das Gefühl hat sich im Laufe der Woche schon wieder etwas relativiert. Es tut dem HSV schon ganz gut, mal eine kleine Lektion in Demut zu bekommen.

Sie hatten eben noch eine St.-Pauli-Kappe auf. Sie sind St.-Pauli- und Werder-Fan?

Ich habe bei beiden Vereinen eine Dauerkarte und eine große St.-Pauli-Ecke in meinem Werderherzen. Daher konnte ich lange meine Wochenenden kaum sinnvoller verbringen als samstags bei Werder und sonntags bei St. Pauli. Aber mittlerweile bin ich glücklicher Familienvater und schon froh, wenn ich sieben, acht Spiele pro Saison am Millerntor sein kann.

Was überwiegt: Die Vorfreude auf das Hamburger Derby oder die Trauer über den Verlust des Nordderbys?

Das letzte Nordderby werde ich jedenfalls nicht vermissen angesichts des Pyro-Geballers, das manche HSV-Fans dort abgefackelt haben. Das habe ich in all den Jahrzehnten im Weserstadion so noch nicht erlebt. Da kommt eine kleine Pause vom Nordderby ganz recht.

Werden Sie den HSV als Traditionsverein in der ersten Fußball-Bundesliga denn gar nicht vermissen?

Derbys gegen den HSV sind mir immer lieber als Spiele gegen Hoffenheim, Redbull oder Wolfsburg. Aber insgesamt hat sich bei mir und auch vielen Kneipengästen die Emotionalität beim Fußball ohnehin reduziert.

Warum?

Es war keine bewusste Entscheidung gegen den Fußball – der moderne Fußballbetrieb hat sich eher mit zunehmender Kommerzialisierung wie der Zerstückelung der Spieltage und dem Aufstieg der Plastikvereinskonstrukte von mir entfernt. Insofern freue ich mich absolut, wenn Hamburg irgendwann geläutert wieder aufsteigt. HSV und Werder sind doch mittlerweile ein bisschen wie Waldorf & Stadler aus der Muppet-Show. Irgendwie können sie nicht ohne einander, auch wenn sie sich andauernd anfrotzeln.

Wie wird man als, Zitat, „mieser Alt-Punk“ überhaupt zum Fußballfan?

Das waren Kämpfe, die ich schon als „mieser Jung-Punk“ ausfechten musste. Fußball und Musik sind die beiden Dinge, denen ich einfach von klein auf verfallen war. Bei Punkern und generell in subkulturellen Kreisen war Fußball in den 80ern und 90ern allerdings total verpönt und Fans wurden gleichgesetzt mit rechtsradikalen Hooligans. Du hattest eine eher schlechte Zeit – sowohl offen links im Stadion als auch zugleich als Fußballfan in Punkerkreisen.

Wie haben Sie das überein bekommen?

Wir waren eine kleine geheime Gang der fußballaffinen Punker. Wenn Werder gewonnen oder verloren hatte, haben wir uns verständnisvoll am Tresen zugenickt – aber aufpassen, dass die anderen das nicht sehen! Inzwischen hat sich das alles versöhnt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen