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Kritik an Fahrradkurierdiensten„Die Leute wollen ja fahren“

Wegen mieser Arbeitsbedingungen stehen Rad-Essenslieferdienste im Fokus. Darf man noch bestellen? Ein Treffen mit Ridern.

Hauptsache, es guckt einem kein Chef über die Schulter Foto: dpa

Leipzig | taz | Der Stammtisch der über 70 Leipziger Foodora-Kuriere diskutiert die neue App, mit der seit letzter Woche die Schichten vergeben werden. Die Flexibilität, mit der Foodora vor allem Studierende überzeugt, wird jetzt durch Mindestwochenstunden eingeschränkt. In der WhatsApp-Gruppe der „Rider“ kündigen bereits die ersten an, kündigen zu wollen, weil sie sich in Prüfungszeiten nicht mehr freinehmen können.

„Das ist trotzdem der beste Job, den ich jemals hatte“, sagt eine Studentin. Ein anderer fügt hinzu: „Es hat was für sich, dass einem nicht ständig der Chef über die Schulter schaut.“ Ein eigenes Fahrrad müssen die Rider mitbringen und regelmäßig warten – auf eigene Kosten und in der Freizeit.

Zwar gibt es eine Verschleißpauschale von 25 Cent pro Stunde für die Kuriere. Die kann in Leipzig aber nirgends eingelöst werden. Einen Teil des Stundenlohns von neun Euro brutto müssen die Rider also in Fahrradteile investieren – und in ein Smartphone, denn der Liefervorgang wird per App abgewickelt. Umso wichtiger ist es für die Fahrer, Trinkgeld zu bekommen.

Keine Selbstverständlichkeit, erzählt einer der Rider: „Manche behandeln einen wie den Paketdienst. Da wird einem das Essen aus der Hand gerissen und die Tür zugeschlagen.“ Nur etwa jeder zweite Kunde gibt Trinkgeld, im Schnitt fünf Prozent des Bestellwerts, schätzen die Rider. Das könnte daran liegen, dass die Kunden glauben, schon mit der Liefergebühr Trinkgeld gezahlt zu haben.

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Dass sich Kunden aufgrund der Arbeitsbedingungen von den Lieferdiensten abwenden, findet Theresa Ingendaay von der Deliverunion schade. Seit Oktober 2017 ist die junge Fahrradkurier-Gewerkschaft in Leipzig organisiert. „Die Leute wollen ja fahren“, sagt sie. Wenn weniger bestellt wird, entziehe das den Kurieren die Grundlage. Bei schlechter Auftragslage verfällt der Bonus, den erfolgreiche Fahrer erhalten, wenn sie neben weiteren Kriterien mehr als zwei Lieferungen pro Stunde schaffen. Wer als Kunde seine Unterstützung zeigen will, solle also lieber Trinkgeld geben, als Foodora zu boykottieren.

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8 Kommentare

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  • Also, als Fahrradkurier bin ich auch immer wieder bass erstaunt, dass die Leute so oft kein Trinkgeld geben. Der Rat einer Gewerkschafterin an die Kunden mit Trinkgeld den Lohn aufzubessern, statt durch Verzicht/Boykott den Unternehmen zu zeigen, dass faire Arbeitsbedingungen eine wichtige Geschäftsgrundlage sind, ist aber wirklich dämlich. Es geht nicht um Almosen, sondern Lohn! Wie ein Politiker, der einem rät doch dem Obdachlosen was zu geben um die Welt besser zu machen, statt strukturell dafür zu sorgen, dass niemand betteln muss.

  • (...)“Dass sich Kunden aufgrund der Arbeitsbedingungen von den Lieferdiensten abwenden, findet Theresa Ingendaay von der Deliverunion schade.“(...)

     

    Nach den jüngsten Medienberichten über Deliveroo & Foodora stellt sich doch die Frage: Tue ich den Angestellten/Mitarbeitern, den Fahrradkurieren, etwas gutes, wenn ich weiterhin KundIn des Lieferservice bleibe oder stütze ich dadurch ein Ausbeutungsmodell, welches nur den Profit des Management und der Investoren (taz-Zitat: “Investoren erwarten Rendite“) im Blick hat?

    Will die Kurier-Gewerkschaft hier erfolgreich sein, so muss sie grundlegende Veränderungen im Delivero-/Foodora-System anstreben. Zuletzt wurde am 1. Mai in Italien (Turin) gegen Foodora & Co. protestiert. Die italienischen Forderungen lauten: Mindestlohn für alle Beschäftigten, Verträge in denen die Arbeitssicherheit und die Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge gewährleistet sind, sowie die Anerkennung von “untergeordneten Arbeitsverhältnissen“.

  • „Manche behandeln einen wie den Paketdienst. Da wird einem das Essen aus der Hand gerissen und die Tür zugeschlagen.“

     

    Das ist natürlich unfreundlich, aber im Grunde ist es doch das gleiche ob ich ein Paket mit essen oder ein Paket mit anderem geliefert bekomme. Der Fahrradkurier suggeriert hier mMn dass er im Gegensatz zu einem Paketdienst-Kurier ein Trinkgeld verdient hätte. Ich wüsste gerne wieso.

    • @Franco:

      HI, also ich habe schon beide Jobs gemacht. Der gravierendste Unterschied ist, dass man als Paketfahrer eine Route mit sagen wir mal 200 Paketen hat, und zwischen den einzelnen Kunden meist nicht mehr als zwei bis fünf Minuten liegen. Als Essenskurier bist du manchmal für einen Kunden mit Anfahrt Restaurant, Wartezeit und Anfahrt Kunde eine Stunde unterwegs. Im Schnitt um die zwei bis drei Kunden pro h. Nicht falsch verstehen, ich bin auch dafür Paketboten Trinkgeld zu geben, aber würde der Paketbote bei jedem zweiten Paket 2€ bekommen wäre der Job einigermaßen lukrativ. Paketfahrer insgesamt anstrengender. Essenkurier, großer Aufwand für einen Kunden.

    • @Franco:

      Also ich gebe mittlerweile regelmässig Paketdienst-Kurieren Trinkgeld. Das wirkt wahre Wunder. Die Paketboten machen sich die Mühe in den ersten Stock zu kommen und das Paket tatsächlich bei mir abzuliefern, statt einfach einen Zettel unten in den Briefkasten zu werden.

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @vulkansturm:

        Dieselbe Erfahrung habe ich auch gemacht.

         

        Anfangs wussten die jungen Männer gar nicht wie ihnen geschieht, als ich ihnen einen Euro, oder auch mal zwei, wenn das Paket schwer war, in die Hand drückte.

         

        Mittlerweile werde ich auf der Straße angehupt, wenn ich einem von ihnen begegne.

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Dann kriegen wir eine Situation wie in den USA. Es wird dann irgendwann einfach davon ausgegangen, dass Trinkgeld gezahlt wird und der Lohn noch weiter abgesenkt. Diejenigen, die keinen direkten Kundenkontakt haben, sind dann sowieso gekniffen. Bitte nicht!

  • Neulich bei einer ARD-Doku:

    Lastwagenfahrer aus Osteuropa. Der TAGES(!)Satz lag bei 9 Euro. Der Mann "lebte" auf dem LKW und war damit alles andere als ein Einzelfall.

    Sollen wir uns jetzt an die Autobahn stellen und ihnen Trinkgeld zuwerfen?

     

    "Nach unten ist immer Platz". Zur Not lässt man einfach die Luft zum Atmen weg ...

    Es ist ein System, bei dem am Ende immer die Sklaverei übrig bleibt. Sie ist und bleibt am profitabelsten.