: Tabuisieren verboten
Wie verstehen Kinder das mit dem Sterben? Darum geht es in der Ausstellung „Punkt, Punkt, Komma, Tod“ im Hospiz Hamburg
Von Milena Pieper
Wie bringe ich meinem Kind bei, dass die Oma, Mama oder Papa stirbt oder dass es selbst sterben muss? Wie beantworte ich Fragen zum Tod und kann ich mein Kind zu einer Beerdigung mitnehmen? All das sind Fragen, die viele Eltern überfordern. Eine Ausstellung im Hamburger Hospiz geht genau mit diesen Problemen offen um und richtet sich an „Große“ und „Kleine“.
„Nach allem, was wir wissen, hat es noch nie eine Ausstellung für Kinder in einem Hospiz gegeben“, sagt Angela Reschke vom Hamburger Hospiz. „Das ist Pionierarbeit.“
Fünf KünstlerInnen, darunter die Kinderbuchautorin Jutta Bauer, haben sich für die Ausstellung „Punkt, Punkt, Komma, Tod“ in die Situation von Kindern und in ihre eigene Kindheit hineinversetzt. In über 50 Werken zeigen sie, wie sie Sterben verstehen. Zu sehen sind etwa der Tod mit schwarzer Kapuze und einem freundlichen Gesicht, der mit einem Kind tanzt oder ein Hamster, eine Katze und andere Haustiere, die jeweils einmal lebendig und als Skelett dargestellt sind.
Reschke hat eine klare Einstellung zum Umgang mit dem Tod: Eltern müssen alle Fragen ihres Kindes ernst nehmen und sie aushalten. „Typische Fragen sind zum Beispiel: ‚Was passiert mit meinen Spielsachen, wenn ich tot bin?‘ oder ‚Woran merke ich, dass ich sterben muss?‘“ Reschke rät Eltern, zurückzufragen: Was ist denn dein Wunsch? Oder: Was denkst du denn? Wichtig sei, möglichst authentisch zu reagieren. Auf keinen Fall dürfe man allerdings das Thema zum Tabu erklären.
Für Reschke ist Hospizarbeit auch Bildungsarbeit. „Wir gehen davon aus, dass wir als die ‚Großen‘ auch beim Thema Tod etwas von den ‚Kleinen‘ lernen können“, sagt sie. Es gehe darum, unverstellt und frei zu fragen. Als Großmutter merke sie selbst, dass sie die jüngere Generation braucht – auch beim Thema „Tod“. „Kinder sind zunächst viel angstfreier als wir Erwachsenen, bis sie dann unsere Reaktionen sehen“, sagt Reschke, „aber der Tod eint uns alle.“
Das Hamburger Hospiz stellt Ende April auch ein Buch vor, in dem Achtklässler ihre Vorstellungen vom Tod darstellen. Mit dem Buch will die Philosophiedidaktikerin Barbara Brüning den offenen Umgang mit dem Tod in die Schulen zu bringen. Im Philosophieunterricht mit ihren Schülerinnen und Schülern hat sie erlebt, dass die Schüler „sehr offen und freimütig“ mit dem Thema umgehen. „Man muss sie einfach denken lassen“, sagt Brüning, „das Thema Tod interessiert junge Leute sehr.“
Die Ausstellung auf die Beine zu stellen, sei trotzdem gar nicht so einfach gewesen, sagt Reschke. Acht Monate habe es gedauert, bis sie fünf Künstler gefunden habe, die bereit waren mitzumachen: „Die meisten waren sehr erschrocken und konnten nicht glauben, dass wir so ein Angebot für Kinder machen wollen.“
Auch die Kinderärztin und Psychotherapeutin Miriam Haagen sagt, dass es häufig die Eltern seien, die nicht wüssten, wie ein Kind angemessen begleitet werden könne, wenn sie sagten: „Mein Kind ist zu jung für eine Beerdigung.“ Haagen wird am kommenden Mittwoch im Hamburger Hospiz einen Vortrag halten, in dem es um die kindliche Auseinandersetzung mit Endlichkeit geht. „Kinder sind nie zu jung, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, erst recht nicht, wenn sie selbst oder Angehörige betroffen sind“, sagt sie. Eltern sollten reflektieren, wie ihr Kind entwickelt ist und wie sie individuell am besten mit der Situation umgehen. Viele Eltern wollten gern feste Regeln, aber die gebe es auch beim Umgang mit dem Tod nicht.
Haagen beschäftigt sich auch mit der Frage, ab wann Kinder entwicklungspsychologisch gesehen Endlichkeit überhaupt begreifen können: „Das Todeskonzept entwickelt sich bei Kindern in verschiedenen Stufen von der Kleinkindzeit bis ins Schulalter. Etwa ab dem 9. Lebensjahr können wir davon ausgehen, dass Kinder das reife Todeskonzept verstehen können“, sagt sie – also die Vorstellung, dass Tote nicht zurückkommen und alle Lebewesen sterben müssen.
Ausstellung, „Punkt, Punkt, Komma, Tod“: bis 28. 9., Hamburger Hospiz e. V., Helenenstraße 12, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen