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„Tatort“ aus FrankfurtDie vielen Spielarten der Gewalt

Vater schlägt Mutter, Sohn stalkt Mitschülerin, Mann gibt Kripo-Chef Kopfnuss – und ein Junge erstickt qualvoll. Wenn Druck in Gewalt umschlägt.

Joachim Voss (Golo Euler) hat wieder Puls. Das bekommt immer seine Frau Meike (Lina Beckmann) und in diesem Fall wohl auch noch jemand anders zu spüren Foto: Bettina Müller/HR

Wenn die eigene Mutter zu einem „du bist ein Teufel“ sagt, dann könnte da etwas dran sein. Denn normalerweise sagen Mütter sowas nicht zu ihren Kindern.

Felix Voss nimmt das ungerührt hin. Vielleicht weil der präpubertäre Junge weiß, dass seine Mutter recht hat. Vielleicht weil es ihm scheißegal ist. Vermutlich letzteres. Er ist schließlich ein Produkt seines Vaters – und der verachtet die Frau, mit der er ein Kind hat. Lässt Meike Voss (Lina Beckmann) etwas fallen, sagt er erst zu ihr: „Die Scheiße räumst Du aber auf.“ Und dann an seinen Sohn gewandt: „Wenn sie wenigstens die Wohnung sauber halten würde.“ Vater Joachim Voss (Golo Euler) verachtet Schwache, verachtet Erfolglose, verachtet Ziellose.

Und sein Sohn folgt ihm. Felix setzt Lehrer unter Druck. Felix kippt den Schulranzen einer Mitschülerin aus. Als eine ältere Frau neben ihm stürzt, schaut er genüsslich dabei zu, wie sie versucht aufzustehen. Wie sie da liegt wie eine auf den Panzer gedrehte Schildkröte. Als sie ihn um Hilfe bittet, geht er weg. „Bengel, Du, widerlicher!“, brüllt sie hinterher. Felix nimmt das ungerührt hin.

Im Frankfurt-„Tatort“ „Unter Kriegern“ läuft der Fall eines ermordeten Jungen bei Familie Voss zusammen. Der Junge wurde im Heizungskeller eines Sportleistungszentrums eingesperrt – und verdurstete. Joachim Voss ist der Chef ebenjenes Leistungszentrums. Also eigentlich ist er Banker, aber nebenberuflich eben auch Vereinsvorsitzender. Und Voss, der als Judoka bei den Olympischen Spielen in Sydney war, will aufsteigen, will eine Sportfunktionärskarriere beim Deutschen Olympischen Sportbund machen. Da kommt ein totes Kind im Keller nicht gut. Darum geht es ihm. Für Mitleid oder sowas hat er keine Zeit.

Sterile Idylle, sterile Hölle

Und so müssen die ErmittlerInnen Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) in die Frankfurter Vorstadt. In ein Neubaugebiet, wo riesige Zäune aus Metallgittern, in die Steine gekippt wurden, die Grundstücke von den Gehwegen separieren. Gabionen heißen diese Halb-Zaun-halb-Mauer-Ungetüme. Alle Wege hier, alle Straßen, alles ist noch jung, alles ist funktional, alles ist steril, alles ist kalt. Es ist eine Mischung aus Hölle und Idylle.

Der Film

Frankfurt-"Tatort": "Unter Kriegern", So., 8. April, 20.15 Uhr, ARD

Autor Volker Einrauch hat einen „Tatort“ geschrieben über Druck und Hermine Huntgeburth hat spürbar in Szene gesetzt, wie dieser Druck Menschen kalt und gewalttätig werden lässt – mit Worten, mit Fäusten, mit Messern. Wie flaches Atmen manchmal nicht mehr hilft und die Impulskontrolle versagt. Ein starker „Tatort“.

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1 Kommentar

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  • Jessas, schon der zweite Tatort mit einem Grusel-Kind, an denen sich Makatsch und Broich fraulich abarbeiten. Die Idee, die Brutalisierung der Gesellschaft anhand einer modernen Aufsteiger-Familie darzustellen, ist zwar nicht schlecht. Die Figuren waren zu grotesk gezeichnet, als dass Otto-Normalzuschauer das als Parabel auf unsere Gesellschaft annehmen konnte. Er wurde leider zum Panoptikum der Abnormitäten. Lina Beckmann legte sich bei der Darstellung der psychisch und sozial derangierten Mutter zu sehr ins Zeug und wirkte oft nur grell. Insgesamt wurde das Thema leider durch die INszenierung und das Drehbuch damit verschenkt.