Schuldlos wohnungslos: Räumung wegen Jobcenter
Das Jobcenter Bremen stellte widerrechtlich die Mietzahlungen für die Hartz IV-Empfängerin Jolanda D. ein. Nun soll ihre Wohnung geräumt werden
D. wohnt seit dem Jahr 2013 in der „Grohner Düne“, einer Hochhaussiedlung im Bremer Norden. Die polnische Staatsbürgerin lebt seit sechs Jahren in Deutschland und ist aufgrund prekärer Beschäftigungen auf Hilfe vom Jobcenter angewiesen.
Mit dem hatte sie bereits vor drei Jahren Ärger: Damals hatte es schon einmal für mehrere Monate die Übernahme der Miete verweigert: „Das Jobcenter hat damals argumentiert, dass aufgrund baulicher Mängel die Wohnung nicht erhaltenswert sei“, sagt Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosenverband, der seither Kontakt zu D. hat.
Aufgrund der so entstandenen Mietschulden besteht seit damals ein Räumungstitel gegen D. Weil das Jobcenter nach langem Drängen die Mietzahlungen 2016 aber wieder übernahm und D. überdies seither monatlich von ihrem Hartz-IV-Regelsatz Raten in Höhe von 50 Euro zur Abtragung dieser Schulden zahlt, durfte sie in ihrer Wohnung bleiben.
„Im Januar 2018 allerdings kündigte das Jobcenter an, die Zahlungen zum ersten Februar einzustellen“, sagt Thomsen. Der Grund: D. habe kein Aufenthaltsrecht mehr in Deutschland. „Dabei wusste das Jobcenter aus den eigenen Akten, dass D. dort regelmäßig Lohnabrechnungen vorgelegt hat und dass sie seit dem Jahr 2012 hier in Deutschland gemeldet ist“, so Thomsen. Das bedeutet: D. lebt nachweislich seit mehr als fünf Jahren in Deutschland – und hat nach EU-Recht somit bereits seit 2017 ein unbefristetes Aufenthaltsrecht.
Herbert Thomsen, Bremer Erwerbslosenverband (BEV)
Erwartungsgemäß war eine Eilklage vor dem Sozialgericht dann auch erfolgreich: Am 22. Februar dieses Jahres entschied das Gericht, dass das Jobcenter verpflichtet sei, D. weiterhin Leistungen zu gewähren.
„Aber auch einen Monat später war immer noch nichts passiert“, sagt Thomsen. Am 19. März sei D. gemeinsam mit einer Dolmetscherin zum Jobcenter gegangen, weil ihr Vermieter Grand City Property bei ihr die noch immer fehlenden Mietzahlungen angemahnt hatte. „Da hat man ihr gesagt: Wir kümmern uns“, sagt Thomsen. Aber stattdessen bekam D. das Schreiben des Gerichtsvollziehers mit dem Räumungstermin am 18. April.
„Das Jobcenter ist hier seiner Verantwortung ganz klar nicht nachgekommen“, sagt Thomsen. Hinzu komme, dass es mit seinem Verhalten dem Interesse des börsennotierten Immobilienunternehmen GCP in die Karten spiele: „Als die vor vier Jahren die Grohner Düne gekauft haben, haben die Leute dort Dumping-Mieten gezahlt“, sagt Thomsen. Damit hätten die vorherige Eigentümer allzu großen Leerstand in den heruntergekommenen Wohnblöcken verhindern wollen.
„Grand City darf die Mieten nur um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren erhöhen – eine Neuvermietung bringt denen also viel mehr Geld ein“, glaubt Thomsen.
Zulässige Räumung
Deswegen glaubt Thomsen nicht daran, dass Grand City Property sich im Falle von Jolanda D. noch umstimmen lässt. „Rechtlich ist die Räumung zulässig, schließlich gibt es ja den Räumungstitel aus dem Jahr 2015 und auch die Frist des Gerichtsvollziehers war korrekt“, sagt er. Selbst wenn das Jobcenter in letzter Minute seiner Pflicht zur Zahlung der Miete noch nachkomme, liege alles weitere nun im Ermessen des Vermieters.
Der übernahm zwischen März und Juli 2014 alle 570 Wohneinheiten der Grohner Düne, die zuvor zum Teil der „Deutsche Wohnen AG“ und zum Teil einem niederländischen Immobilienunternehmen gehörten. Die Bremer Bürgerschaftsfraktion der Linken nannte das Unternehmen mit Sitz in Zypern damals eine „Heuschrecke“ und kritisierte, dass die Stadt Bremen den Wohnkomplex nicht selbst gekauft hatte. In Bremen war der Konzern damals bereits berüchtigt, weil er dort auch andere Wohnungen gekauft und nur sehr schleppend saniert hatte.
Ähnlich sah es anfangs auch in der Grohner Düne aus. Im August 2016 allerdings unterzeichneten die Stadt Bremen und Grand City Property eine Kooperationsvereinbarung: Bremen erklärte sich bereit, für die Infrastruktur rund um das „Problemviertel“ bis zu 3,5 Millionen Euro zu investieren, GCP sollte im Gegenzug bis 2017 alle Fahrstühle und Treppenhäuser sanieren, rund 100 leer stehende Wohnungen renovieren und die Außenflächen „aufwerten“. Einiges davon wurde auch bereits umgesetzt.
Hausflur blockiert
Von vielen Zwangsräumungen dort bekomme der Erwerbslosenverband nichts mit, sagt Thomsen, „aber Anwohner berichten uns, dass in die Grohner Düne ungefähr zweimal in der Woche der Gerichtsvollzieher zum Räumen kommt“. Erst im vergangenen November hatten dort 30 Menschen einen Hausflur blockiert und so die Räumung einer Familie verhindert. Auch in diesem Falle soll das Jobcenter die Mietzahlungen an Grand City Property unrechtmäßig eingestellt haben.
„Wir tun alles, was wir können, um beim Vermieter zu intervenieren und den Wohnraum unserer Klientin zu erhalten“, sagt auf Nachfrage der taz Christian Ludwig, Sprecher des Bremer Jobcenters. Aufgrund personenbezogener Daten könne er darüber hinaus aber leider nichts zum Fall von Jolanda D. sagen.
Sollte das Jobcenter tatsächlich noch intervenieren, beeindruckt das Grand City Property wenig. Auf Nachfrage der taz heißt es schriftlich: „GCP hat diese Situation nicht verursacht. GCP handelt immer gemäß interner standardisierter Prozedere. GCP ist immer an langfristigen Mieterverhältnissen mit seinen Mietern interessiert.“ Und darüber hinaus könne GCP aufgrund der rechtlichen und gesetzlichen Datenschutzbestimmungen keinerlei Informationen zur Verfügung stellen.
*Name geändert
Aktualisierung (18. April, 15.10 Uhr): Die angekündigte Zwangsräumung wurde kurzfristig abgesagt. Offenbar haben sich das Jobcenter und Grand City Property (GCP) geeinigt: Man wolle die Angelegenheit nicht auf dem Rücken der Mieter austragen, hieß es dazu bei GCP. Das Jobcenter Bremen räumte ein, „grundsätzlich können natürlich auch bei uns, wie in jeder Behörde, Fehler passieren und falsch, zu spät oder gar nicht entschieden werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch