: Gift für die Demokratie
Angeblich soll das Göttinger Institut für Demokratieforschung nun doch fortbestehen. Mitarbeiter*innen und Grünenfraktion trauen dem Frieden allerdings nicht
Von Benno Schirrmeister
Der Verwaltung der Göttinger Uni zufolge ist die Sorge ums renommierte Institut für Demokratieforschung (GIfD) unbegründet. Der ursprüngliche Plan, die Professur des alters- und krankheitsbedingt ausscheidenden Gründungsdirektors Franz Walter statt wieder politologisch wirtschaftshistorisch umzuwidmen, sei vom Tisch, heißt es. Dass die Neuausschreibung nicht längst laufe, habe Gründe: „Erst im Herbst hat Professor Walter sich entschieden, in den Vorruhestand zu gehen.“ Zuvor sei unklar gewesen, ob er nach dreijähriger Krankheit auf den Lehrstuhl zurückkehrt. „Vorher wäre eine Ausschreibung nicht möglich gewesen“, so die Auskunft.
Nicht alle trauen dem Frieden: „Das wissenschaftliche Selbstverständnis einer relevanten und praxisnahen Politikwissenschaft“ stehe weiterhin auf dem Spiel, heißt es aus Mitarbeiter*innenkreisen. So dürfen keine neuen Drittmittel eingeworben werden, keine neuen Aufträge akquiriert: Die Monetarisierung der Forschung, sonst als Ausweis von Exzellenz abgefeiert, würde, so argumentiert die Uni-Verwaltung, die Spielräume des künftigen Lehrstuhlinhabers einengen. Das ist nachvollziehbar, passt aber nicht zum vom NDR berichteten Versprechen, das Profil solle grundsätzlich bestehen bleiben.
Zugleich unterminiert man so den Betrieb, so die Befürchtung der grünen Wissenschaftspolitikerin Eva Viehoff: „Es wäre fatal, wenn keine neuen Forschungsprojekte und Studien etwa zum aufkeimenden Rechtspopulismus, zu Protestbewegungen, NS-Vergangenheit oder Antisemitismus mehr angenommen werden dürften“, warnt sie. „Ein Stillstand bei der Demokratieforschung darf es gerade in diesen Zeiten nicht geben.“
Auch haben Äußerungen der Uni-Präsidentin den Konflikt nicht gerade besänftigt: Ulrike Beisiegel, ihres Zeichens Biochemikerin, hatte sich bereits 2016 durch die Nichtverlängerung der Professur des antideutschen Antisemitismusforschers Samuel Salzborn den Vorwurf eingehandelt, gesellschaftswissenschaftliche Lehrstühle lieber mit politisch unauffälligen Akademiker*innen zu besetzen. Bei einer internen Veranstaltung im GIfD soll sie nun mit ihrer Bewertung der engen Zusammenarbeit zwischen Institut und zivilgesellschaftlichen und politischen Akteuren – wie Parteien, Gewerkschaften oder Stiftungen – als „Wildwuchs“ Öl ins Feuer gegossen haben.
Denn: Diese Interaktionen gelten als Herzstück des speziellen wissenschaftlichen Ansatzes, den das GIfD seit jeher verfolgt. Es beziehe sich, heißt es in dessen Selbstdarstellung, „bewusst auf Öffentlichkeit“. Die werde jedoch nicht darauf reduziert, als „Adressat von Belehrungen“ zu fungieren – sondern gebe als „widerborstige Fragestellerin, Impulse in den Forschungsprozess“ zurück. Folge: Das Institut hat eine größere Rolle in den gesellschaftlichen Debatten des vergangenen Jahrzehnts gespielt, als jede andere politikwissenschaftliche Einrichtung Deutschlands. Von der biografischen Entheroisierung des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf bis hin zur Untersuchung von Pegida und zur aktuellen Linksextremismus-Studie – in der Weender Landstraße 14 wird Stoff gesammelt für Debatten, die das Zeug haben, Land und Republik zu verändern.
Die Unabhängigkeit hatte das nicht gefährdet. Im Gegenteil, oft bekamen die Auftraggeber die Ergebnisse der bestellten Untersuchung wie einen Tritt vors Schienbein serviert: So wurden die Grünen 2013 im Bundestagswahlkampf unsanft daran erinnert, dass sie den Pädophilie-Diskurs in den Anfangsjahren als Teil ihres gesellschaftlichen Liberalisierungsprogramms befördert – und namentlich ihr damaliger Spitzenkandidat Jürgen Trittin einschlägige Appelle mitgetragen hatte. Autsch.
„Wie sieht die zukünftige Schwerpunktsetzung für das Institut für Demokratieforschung aus“, fragt daher die Grünenfraktion im Landtag die Regierung: Ungewöhnlich, denn über die Ausrichtung ihrer Institute entscheiden Universitäten autonom – und an der Stiftungs-Uni Göttingen hat die Regierung selbst bei Lehrstuhlbesetzungen kein Mitspracherecht. Allerdings hatten sich alle Landesregierungen seit Christian Wulff stets als GIfD-Fans geoutet. „Auch die große Koalition, Ministerpräsident Stephan Weil und Hochschulminister Björn Thümler müssen sich jetzt öffentlich für die Stärkung des Instituts für Demokratieforschung einsetzen“, fordert Viehoff. „Wir vermissen da ein klares Wort der Landesregierung zu der Unsicherheit in Göttingen.“
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