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Unfähigkeit zur KonfliktlösungWie wäre es mit einem Argument?

Andreas Rüttenauer
Kommentar von Andreas Rüttenauer

Revolver im Gürtel, eine Welt unter Waffen und verbale Gefechte von Spahn bis Tellkamp – das muss doch auch zivilisierter gehen.

Bewaffneter Platzsturm: Iwan Savvides, der Präsident von Paok Saloniki außer Rand und Band Foto: reuters

E s läuft die 89. Minute des Spiels zwischen Paok Saloniki und AEK Athen. Es steht 0:0 in diesem Spitzenspiel der griechischen Fußballliga. Ein Tor fällt. Der Schiedsrichter entscheidet auf Abseits. Was folgt, sucht seinesgleichen. Iwan Savvidis, der Präsident von Paok Saloniki, stürmt auf den Platz und bedrängt den Schiedsrichter. Der Revolver, der an seinem Gürtel hängt, macht seinem Protest zum Terror. Die Schiedsrichter haben Angst, unterbrechen das Spiel, fliehen in die Kabine. Dort ändern sie ihre Meinung.

Das Tor würde nun doch zählen, soll der Schiedsrichter dann gesagt haben. Nichts Genaues weiß niemand. Der griechische Fußball steckt wieder einmal in einer Krise. Durchatmen. Was ist passiert? Der Präsident eines Fußballklubs hat mit der Androhung von Waffengewalt versucht, die Entscheidung eines Schiedsrichters zu manipulieren, möglicherweise sogar erfolgreich.

Hätte sich die Szene in den USA abgespielt, es hätte sich gewiss einer gefunden, der fordert, die Schiedsrichter müssten auch bewaffnet werden. Wenn Waffengleichheit herrsche, dann werde schon nichts passieren. Das ist die Idee, die dahintersteckt. Die führt irgendwann zu dem Zustand, den man zu Zeiten, als in der alten Bundesrepublik noch Hunderttausende mit weißen Friedenstauben auf die Straßen gegangen sind, Gleichgewicht des Schreckens genannt hat.

Letale Konflikte

Ein anders Wort, das in jenen 1980er Jahren Konjunktur hatte, ist Abrüstung. Wer es heute benützt, wird sich nicht wundern, wenn er als Naivling belächelt wird. Es gibt eine Sehnsucht, Konflikte definitiv zu entscheiden, letal. Gegen Abrüstung wird zwar erstmal kaum einer etwas sagen. Wirklich darüber geredet wird wahrscheinlich erst wieder, wenn die letzte Schlacht geschlagen ist.

Bis dahin wird man viel hören von neuen Atomwaffen, die selbst von den besten Antiraketenraketen nicht getroffen werden können, über neue Kleinwaffen und in Handelskriegen gehärteten Stahl für gepanzerte Fahrzeuge. Dass es, wie das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri nun wieder gemessen hat, immer mehr Waffen auf dieser Welt gibt, wundert wirklich niemanden.

Es wird scharf geschossen in diesen Zeiten. Auch verbal. Statt Diskussionen gibt es Gefechte. Dabei sitzen die Kontrahenten in ihren Schützengräben und wollen sie partout nicht verlassen. Lieber einfach abdrücken. Einer wie der frische Gesundheitsminister Jens Spahn wird via Twitter zum zum Unmenschen erklärt, weil er sagt, was er sagen muss, als Regierungsvertreter: dass in Deutschland niemand hungern müsste, gäbe es die Tafeln nicht.

Der Tod des Arguments

Statt sich über Sozialpolitik zu streiten, über Umverteilung in einer Gesellschaft, in der Vermögen immer ungleicher verteilt ist, wird versucht, Spahn mit der Moralkeule zu erschlagen. Und was macht der? Er schlägt zurück und behauptet wider besseres Wissen, dass es in Deutschland keine Armut gebe. Schon gibt es den ersten Toten in dieser Auseinandersetzung: das Argument. Wie wäre es also mit Abrüstung?

Dass im Weißen Haus ein Wahnsinniger herrscht, in Pjöngjang ein Irrer, das könnte schon stimmen. Weg mit ihnen? Wer das fordert, mag für eine bessere Welt stehen, und hat sich dennoch aus jedem Diskurs verabschiedet. Aus dem sind schon lange die ausgestiegen, die vor ein paar Monaten noch gesagt haben: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ und die heute nach jeder Äußerung anfügen: „Aber das darf man ja heute nicht mehr sagen.“ Wer den Begriff Meinungsfreiheit wie Dynamit verschießt, ist für Argumente nicht empfänglich.

Das sollte kein Grund sein, selbst mit dem Argumentieren aufzuhören. Einen wie den Schriftsteller Uwe Tellkamp kann man für scheiße, schlimm, rechts und pegidakompatibel erklären, man kann aber auch erklären, was nicht stimmt an dem, was er zum Thema Migration verzapft – dass über 95 Prozent der Flüchtlinge nur kommen, um in die Sozialsystem einzuwandern etwa. Mit der letalen Diskurswaffe, mit der Gegner niedergestreckt werden, indem man sie als AfD-nah bezeichnet, sollte man vorsichtig umgehen.

Über das Fußballspiel in Griechenland muss nun am Grünen Tisch entschieden werden. Leicht wird das nicht, nachdem eine Seite schon vorher mit der Waffe gewedelt hat.

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Andreas Rüttenauer
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16 Kommentare

 / 
  • Gewaltfreie Kommunikation für alle...

    Ab der ersten Klasse spätestens.

    :)

  • Mit

    Argumenten

    ist es oft schon in diesem Forum leider nicht so weit her...

    Da geht es so manchem um die (vermeintliche) Profilierung der eigenen Person. So verhält es sich oft auch in der Politik und am Arbeitsplatz bis hin zum Mobbing.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Hartz:

      Argumente versus Profilierung: das muss nicht zwangsläufig ein Widerspruch sein. Manchmal, ja wirklich machmal profiliert sich eine/r mit Argumenten.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Könnten Sie dafür aktuelle Beispiele aus der Politik nennen?

        ...

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Hartz:

          Sie sprachen davon, in diesem Forum sei es mit Argumenten nicht so weit her. Das hält keiner sachlichen Überprüfung stand und bedarf deshalb der Gegenrede.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    "man kann aber auch erklären, was nicht stimmt an dem, was er zum Thema Migration verzapft –

    dass über 95 Prozent der Flüchtlinge nur kommen, um in die Sozialsystem einzuwandern etwa"

     

    Woher wissen Sie, lieber Herr Rüttenauer, dass die Aussage von Tellkamp nicht stimmt? Letztlich

    ist das aber eine irrelevante Aussage, weil niemand in den Kopf anderer Leute sehen kann.

     

    Die Frage die in ein paar Jahren geklärt sein wird ist, wieviel Prozent der Zuwanderer tatsächlich

    ins Sozialsystem eingewandert sein werden, egal ob sie es wollten oder nicht. Jetzt weiß das wohl keiner wirklich.

    • @83492 (Profil gelöscht):

      @"Woher wissen Sie, lieber Herr Rüttenauer, dass die Aussage von Tellkamp nicht stimmt?"

      Lieber Herr Limits2Growth, ich will Ihnen erklären, was an der Aussage von Herrn Tellkamp ("„Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsysteme einzuwandern, über 95 Prozent.“) nicht stimmt:

       

      "Einwanderung in die Sozialsysteme" ist ein sprachlicher Fertigbaustein, der von Vertreter*innen des rassistischen Rands der Gesellschaft verwendet wird, um Zuwanderer pauschal als arbeitsscheu zu diffamieren und ihnen zu unterstellen, einzuwandern, um den deutschen Sozialstaat um des eigenen Vorteils willen zu schröpfen.

       

      Tellkamp - als Mann des Wortes sicherlich mit dem Wesen und der Bedeutung solcher sprachlicher Fertigbausteine bestens vertraut - unterstellt mit seiner Aussage über 95% der Geflüchteten nicht nur die vorsätzliches Ausnützen des Sozialsystems sondern spricht ihnen auch jeglichen Fluchtgrund ab. Diese Behauptung ist angesichts des Krieges in Syrien, angesichts der andauernd hohen zivilen Opfer und der Millionen Binnenvertriebenen im afghanischen Bürgerkrieg zynisch und für einen Intellektuellen eigentlich erbärmlich.

       

      Aber vor allem: er ist inhaltlich falsch, widerlegt etwa vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das z.B. im Jahr 2016 nur 25% der Asylanträge als unbegründet abgelehnt hat. (https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/aktuelle-zahlen-zu-asyl-dezember-2016.pdf?__blob=publicationFile).

      Das bedeutet: laut BAMF haben 75% der Geflüchteten, deren Antrag 2016 entschieden wurde, einen anderen Grund als die Sozialsysteme, um nach Deutschland zu kommen - nämlich Verfolgung und Krieg. Und das BAMF ist nicht dafür bekannt, besonders großzügig zu entscheiden, weshalb sehr viele Klagen gegen die Ablehnungen erfolgreich sind - sprich: deutlich mehr als 75% der Geflüchteten hatten de facto einen anderen Grund als den Traum vom faule Leben im Sozialsystem, um nach Deutschland zu kommen.

      • 8G
        83492 (Profil gelöscht)
        @Kolyma:

        ""Einwanderung in die Sozialsysteme" ist ein sprachlicher Fertigbaustein, der von Vertreter*innen des rassistischen Rands ..."

         

        Wenn ein Sachverhalt häufig Auftritt, werden zur Beschreibung eben verkürzende Begriffe verwendet, die das Wesentliche beschreiben. Lesen Sie "Einwanderung in die Sozialsysteme" bitte als "Zuwanderung von teilweise hochmotivierten Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation und Sprachkenntnisse den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie in Deutschland nicht selber erwirtschaften können und daher dauerhaft auf Transferleistungen der Solidargemeinschaft angewiesen sein werden."

         

        Jetzt sagen Sie mir bitte: welcher Anteil der Zuwanderer nach Ihrer Schätzung in diese Kategorie fällt?

        Die Schätzungen die ich kenne, liegen so bei 60%. Das ist deutlich weniger als 95% aber bei 200.000 Zuzügen pro Jahr immer noch die Bevölkerung einer Großstadt, die zusäztlich versorgt werden muss.

         

        Ihr Argument, dass wegen einer Anerkennungsquote von 75% das deutsche Sozialsystem nicht Grund für die Flucht ist, scheint mir nicht schlüssig. Schließlich durchqueren die Flüchtlinge mehrere Staaten, in den Frieden herrscht.

  • Grundsätzlich stimme ich dem Autor ja zu, dennoch ist er in seiner Polemik öfter mal übers Ziel "hinausgeschossen".

     

    Beispiel 1:"Hätte sich die Szene in den USA abgespielt, es hätte sich gewiss einer gefunden, der fordert, die Schiedsrichter müssten auch bewaffnet werden."

     

    Bei allem was in den USA im argen liegt; ein Vereinsfunktionär von NFL,NBA... , der bewaffnet einen Schiedsrichter bedrängt hat es dort noch nicht gegeben.

     

    Beispiel 2: "Dass im Weißen Haus ein Wahnsinniger herrscht"

     

    Trump wurde nunmal gewählt. Natürlich kann man das schlecht finden und ihn kritisieren. Aber ihn als "Wahnsinnigen" zu verunglimpfen?

     

    Wie war das doch gleich mit dem "Tod des Arguments"?

  • Wie geht die Sache denn inhaltlich weiter, war es nun Abseits?

    Schützt nicht der Videobeweis vor derlei Wildwestszenen?

    • @emanuel goldstein:

      Videobeweis hin oder her. Was hat der Präsident mit einer Waffe im Stadion verloren und seit wann ist es seine Aufgabe, ins spielgeschehen einzugreifen?

      Es spielt nicht den Hauch einer Rolle, obs nu abseits war oder nicht.

  • Nu - zu dem Bemühte - noch einer frisch aus der mail di Tüte ~>

     

    "Doch ein Argument?

     

    Wenn ich mit 99%iger Sicherheit "weiß",

    das, was der Tellkamp da erzählt, ist Scheiß,

    - und dass der das auch selber weiß,

    dann hilft kein Argument.

     

    Dann nehm ich meinen "Morgenstern",

    egal, ob nah, egal, ob fern

    und (wid)erlege diesen Herrn .

    Himmiherrgottsackzement.

     

    Und der Spahn wurde gezwungen,

    dass er schlimme Lügen spricht.

    Schwer hat er sich die abgerungen,

    gerne tut der sowas nicht.

    Nein, er tut nur seine Pflicht.

     

     

    "Wo man hobelt, fallen Späne.

    Leichen schwimmen auf der Seine,

    an dem Unterleib der Kähne

    sammelt sich ein zäher Dreck.

     

    An den Strähnen von den Mähnen

    von den Löwen und Hyänen

    klammert sich viel Ungeziefer.

    Im Gefieder von den Hähnen

    nisten Läuse, auch bei Schwänen

    - Menschen gar nicht zu erwähnen,

    denn bei ihnen geht es tiefer - ..."

    (Ringelnatz)

  • Ja wie? Das könnte bi lütten im Trainingskamp aber auch der letzte -

    Balltreter & Pistolero letaldiskursiv gespahnt haben ~>

    Nu. Wennste heiße Kartoffeln mit nem Rüttelsieb sortierst - bleibt dir nur -

    Genau. Genau. - Pampe aufm Teller! Wollnichwoll.

     

    kurz - Klar. Soon Hals. Aber da knippt dir k'eine Maus den Faden ab.

    Nö. Da kannste wedeln so viel de willst - newahr.

    No. Wie arm is dat dann.

    • @Lowandorder:

      Mal anders gewendet -

       

      Nix gegen "Spiel mir das Lied vom Totschlagargument" - wa!

      Aber - mit Verlaub - "Mundharmonika" -

      Ha noi. Muß mann halt auch können. Gell.

      • @Lowandorder:

        Wie war das nochmal? Quantität kippt um in Qualität? Siehste - geht auch andersrum...