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„König Lear ist ein Fall von Demenz“

THEATER Demenz gehört nicht nur in die Kliniken und in die Familien der Betroffenen, sagt der Schauspieler Ron Zimmering. Darum schreibt er nun eine auf Demenz fokussierte Fassung von Shakespeares Stück „König Lear“

Ron Zimmering

■ 28, Schauspieler und Regiestudent an der Theaterakademie in Hamburg  Foto: Katharina Gipp

INTERVIEW KATHARINA GIPP

taz: Herr Zimmering, was hat das Theater anderen Darstellungsformen voraus, wenn es um das Thema Demenz geht?

Ron Zimmering: Das Unmittelbare zwischen Schauspieler und Zuschauer. In Bezug auf Demenz ist es wichtig, dass man das Alter leibhaftig auf die Bühne bringt, dass man Menschen mit ihren Ängsten, Gefühlen und Erinnerungen konfrontiert und so zu einem Dialog beiträgt.

Filme über Demenz sind oft schwermütig. Soll Ihr Theaterstück anders werden?

Klar ist Demenz ein Betroffenheitsthema. Der Gedanke, was passiert, wenn ich mich auflöse, mich an bestimmte Dinge nicht mehr erinnern kann, macht Angst. Arno Geigers Buch „Der alte König in seinem Exil“ hat mich bei meiner Arbeit sehr inspiriert. Er beschreibt seinen Vater und auch die Krankheit, aber es ist kein Betroffenheitsbuch, sondern setzt sich mit grundlegenden Fragen des Menschseins auseinander. Ich wünsche mir für die Umsetzung meines Theaterstücks eine spielerische Herangehensweise, in der man Grundfragen des Lebens anspricht und sich mit bestimmten Prozessen aussöhnt.

Haben Sie eine bestimmte Zuschauergruppe im Blick?

Ich finde, Demenz ist ein Thema, das nicht nur ältere Generationen was angeht. Das Thema wirft grundlegende Fragen des Menschseins und der Identität auf. Deswegen wünsche ich mir, dass es ein Stück wird, das auch jüngere Menschen anspricht. Ich habe eine Konzeption für das Hamburger „Haus im Park“ ausgearbeitet.

Sie sind erst 28. Was ist Ihr persönlicher Anknüpfungspunkt?

Meine Großmutter hatte Demenz. Ich habe sie über zehn Jahre begleitet und den ganzen Krankheitsverlauf mitbekommen. Und meine andere Großmutter väterlicherseits hat jetzt auch schon die ersten Symptome von Demenz. Deswegen hatte ich ein großes Bedürfnis, das Ganze künstlerisch aufzuarbeiten.

Ist auch ein optimistischer oder positiver Blick auf Demenz möglich?

Man kann nicht von etwas Positivem sprechen. Es ist ein Prozess wie der Tod, der Ängste auslöst und für viele unangenehm ist. Aber wenn man Ängste ins Auge fasst und genau hinguckt, dann ist die Angst nicht mehr unbestimmt und der Blick klärt sich. Auch in Hinblick auf meine eigene Großmutter versuche ich, eine nicht ganz so pessimistische Perspektive einzunehmen. Meine Großmutter ist 94 Jahre alt geworden und sie war immer eine sehr wichtige Konstante in meinem Leben.

Sie wollen Shakespeares „König Lear“ bearbeiten und in ihm die Demenz stärker in den Vordergrund rücken. Wieso gerade dieses Stück?

In Saarbrücken habe ich an einer Inszenierung von „König Lear“ mitgewirkt. Damals dachte ich: Dieser König Lear ist doch dement! Er hat mich einfach tierisch an meine Großmutter erinnert. Er ist manchmal wie ein Kindskopf und dann ist da dieses Unberechenbare, diese totale Wut. Man kann die Geschichte natürlich so erzählen, dass es da diesen armen König und seine bösen Töchter gibt, aber ich konnte mich auch sehr gut mit den Töchtern identifizieren, weil ich weiß, wie schwierig es ist, mit jemandem zusammen zu sein, der den Bezug zur Wirklichkeit verloren hat. Diese unterschiedlichen Sichten auf die Krankheit haben mich inspiriert. Ich möchte Demenz jedoch nicht als alleinigen Aufhänger nehmen, sondern Erfahrungsberichte mit einbinden. Die Geschichte bleibt fragmentarisch erhalten und parallel dazu werden authentische Texte von Demenzkranken und Angehörigen vorgetragen.

Werden Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit einbringen?

Ich habe Tagebucheintragungen von meiner Großmutter, in denen sie ihre eigenen Ängste beschreibt. Wir hatten sie gebeten, alles zu notieren, bevor sie es vergisst. Das hat sie versucht, es aber aufgrund der Demenz nach und nach nicht mehr hingekriegt. In einem Satz schreibt sie, wie ihre Familie von den Nationalsozialisten ermordet wurde, und im nächsten Satz, dass es gesund ist, Obst zu essen. Es ist so tragisch, wenn sich eine ganze Biografie auflöst. Und da ergibt sich für mich die Frage: Was macht den Menschen zum Menschen? Wenn sich Sprache und Erinnerungen auflösen, ist das dann überhaupt noch der Mensch, den man kennt? Was bleibt da übrig?

Woche der Demenz: 29. 10. bis 2. 11. im Haus am Park in Hamburg-Bergedorf, Gräpelweg 8. Ron Zimmering ist Referent bei der Veranstaltung „‚Vergiss dein Ende‘: Film mit Vorgespräch“, 31. 10., 19 Uhr. Mehr unter www.hausimpark.de

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