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Kolumne Geht’s noch?All for all!

Ein Journalist wird ermordet. Das Entsetzen ist groß – weil die Tat in einem EU-Land geschah. Oder sagt Ihnen der Name Pawel Scheremet etwas?

Vielleicht sollte man bei der Pressefreiheit genau hinsehen – nicht erst dann, wenn es zu spät ist Illustration: TOM

Ein bisschen Schwund ist immer. Folgt man dieser zugegebenermaßen zynischen Aussage, dann ist es angesichts weltweit wachsender Gewalt nicht weiter verwunderlich, dass es manchmal auch Journalisten erwischt.

Merkwürdigerweise scheint es jedoch von Belang zu sein, wo sich derartige Tragödien abspielen. Der Springer-Verlag etwa hat seit der Freilassung seines Türkei-Korrespondenten Deniz Yücel an seinem Berliner Verlagsgebäude wieder eine freie Fläche und erinnert dort unter dem Motto „All for Jan“ an den slowakischen Investigativjournalisten Ján Kuciak. Dieser und seine Freundin Martina Kusnirova waren am 25. Februar in ihrem Haus in der Westslowakei regelrecht hingerichtet worden.

Seit diesem Doppelmord sorgt die Slowakei, für die sich die Medien ­normalerweise mäßig bis gar nicht interessieren, für Gesprächsstoff. Dabei speist sich das Entsetzen in erster Linie nicht aus der Tat an sich, sondern aus dem Umstand, dass so etwas in einem Mitgliedsland der Europäischen Union möglich ist. Hallo? Warum sollten Mordfantasien und Rachegelüste gegenüber Journalisten, die korrupte Machenschaften aufzudecken versuchen, ausgerechnet an den Türen der EU haltmachen?

Zu dieser bizarren Wahrnehmung passen die geringe Aufmerksamkeit und mangelnde Solidarität mit Medien­machern in Ländern außerhalb des Brüsseler Klubs. Beispiel Ukraine – ein Land, das gefühlt und real noch Lichtjahre von der EU entfernt ist. Wer redet heute noch von dem Journalisten Pawel Scheremet, den im Juli 2016 eine Autobombe zerfetzte?

Polen, Ungarn und Bulgarien lassen grüßen

Klar, in der Ostukraine wird fast jeden Tag gestorben, business as usual also. Nur: Scheremet wurde in Kiew getötet, und aus der Hauptstadt sind – zumindest bis jetzt – keine Kampfhandlungen überliefert.

Apropos EU: Es muss ja nicht immer­ gleich Mord sein. Druck auf kritische Journalisten, Behinderung der Arbeit von missliebigen Zeitungen und Webseiten bis hin zur Schließung, kurzum: eine Medienlandschaft, die stetig weiter an Vielfalt und damit auch ihre Kontrollfunktion einbüßt. Polen, Ungarn und Bulgarien (um nur einige Beispiele zu nennen) lassen grüßen. Wobei der einzig tröstliche Umstand ist, dass hier noch keine Menschenopfer zu beklagen sind.

Noch nicht. Und so könnte eine Erkenntnis aus dem Mord in der Slowakei sein: Vielleicht jetzt schon einmal genau hinsehen. Und nicht erst dann, wenn es zu spät ist.

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1 Kommentar

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  • Danke, taz, für diesen Kommentar.

    Es ist allerhöchste Zeit, dass wir in unserem "Gut-und -gerne-leben"-Land den Blick auf die schwindenden demokratischen Rechte in manchen Nachbarstaaten richten, auf EU-Mitglieder, aber auch auf solche , die ständig nach dem Schutz der EU rufen.

     

    Offenbar traut sich die EU-Kommission erst nach langem Zögern, gegenüber den sich einschleichenden autoritären Gewohnheiten mancher Regierungen halbwegs deutlich aufzutreten. Um so wichtiger ist es, dass Öffentlichkeit und demokratischen Presse hierzulande Augen und Stimme nicht verschließen, wenn anderswo Journalisten wegen ihrer regierungskritischen Berichte verfolgt oder gar umgebracht werden.

     

    Wichtig bleibt : Unsere eigene Regierung und die Kommission müssen entschiedener einschreiten, damit die Menschen in einem Nachbarland sich nicht demnächst einem autoritären Regime mit festen Strukturen gegenüber sehen.

     

    Für den neuen Außenminister ist dies eine Herausforderung, die er neben den vielen Antrittsbesuchen als eine der wichtigsten Aufgaben anpacken sollte. Es ist wenig sinnvoll, sich nur auf die große Weltpolitik oder gar den aberwitzigen Brexit zu konzentrieren, während in Osteuropa religiöse Eiferer oder verflochtene Familienclans mit nationalistischen Parolen Fakten schaffen.