: RegalmitKufen
Weil er nicht so leicht loslassen kann wie andere Leute, sammelt Christian Maeles deren Sachen. Und verkauft sie in seinem „Recycling Museum“ im Leipziger Viertel Plagwitz. Was er kostenlos bekommt, verschenkt er weiter
Aus Leipzig Anna-Theresa Bachmann (Text) und Dominik Wolf (Fotos)
Mit dem Hab und Gut aus vier Haushaltsauflösungen fing alles an. Das brachte Christian Maeles mit, als er vor 17 Jahren aus Konstanz nach Plagwitz kam. Es waren der Industriecharme und die ungenutzten Möglichkeiten, die Maeles in das Viertel im Leipziger Westen zogen, aber auch die damals schon hohen Mieten am Bodensee.
In seiner neuen Heimat stellte Maeles ein Verkaufsschild im Garten auf. „Das ist ja bei euch wie im Museum“, sagte die erste Kundschaft. So kam das Geschäft zu seinem Namen: Recycling Museum.
Hinter dem Museumseingang, einem Bauzaun, finden sich auf einem fußballfeldgroßen Gelände allerlei Plunder und Neuware aus Geschäfts- und Haushaltsauflösungen. Fensterrahmen aller Größen, Feueröfen und Metallschrott kommen im Garten unter, Kleinteiliges und Empfindliches stapeln sich drinnen: ein Dschungel aus Stuhlbeinen und Omas Porzellansammlung, dazwischen ein Paar lila Stöckelschuhe in Größe 39.
Wie behält man da den Überblick? „Von oben“, sagt Maeles trocken und deutet auf den Turm aus gelbem Backstein, der aus dem Haupthaus ragt. Als in Plagwitz noch Schornsteine rauchten, war darin der Hochofen einer Eisengießerei untergebracht. Sie gibt der anliegenden Straße heute ihren Namen. Im Hochofen wohnt Maeles, im Erdgeschoss arbeitet er.
Sein Recycling Museum hat an sechs Tagen der Woche geöffnet, das Telefon steht selten still. Seine Kundschaft beschreibt Maeles als „zwischen halbes Jahr und scheintot“. Die Ersten kommen pünktlich um zwölf und müssen zehn Minuten länger vor dem Bauzaun warten, denn Maeles schließt zu spät auf. Doch daran stört sich niemand. Wer hierher kommt, liebt das Stöbern und die Entschleunigung.
Von seinen Anfängen im Leipziger Westen erzählt Maeles bedächtig, aber scharfzüngig. „Wir sind auferstanden aus Ruinen“, sagt er und rückt seinen verblichenen Strohhut zurecht. Nachts hätten sich die Leipziger*innen nach der Wende kaum hierher getraut, viele der leerstehenden Häuser und Fabrikanlagen wurden in Brand gesteckt. „Von marodierenden Jugendlichen“, sagt Maeles.
Christian Maeles
Noch Anfang der 2000er seien viele der Anlieger*innen nach Westdeutschland gezogen. Sie drückten Maeles die Wohnungsschlüssel in die Hand: „Du kannst alles nehmen, was dir gefällt“, sagten sie zu ihm. „Das war praktisch“, sagt Maeles, der die Gelegenheit auch nutzte, um in den leerstehenden Wohnungen die Badeöfen anzuheizen – in seinem Hochofenhaus gab es damals noch kein heißes Wasser und keine Küche.
Nachdenklich wurde er beim Durchforsten der hinterlassenen Gegenstände. Nicht einmal Fotoalben hätten die alten Bewohner*innen mitgenommen. Als wollten sie mit der Wohnung gleichzeitig auch mit ihrem alten Leben abschließen. Für Maeles unverständlich: „Ich kann nicht so leicht loslassen.“ Seine Sammlung wuchs.
„Shokran“, ruft er dem ersten Kunden des Tages hinterher. „Danke“ auf Arabisch. „Das Regal hat er genommen“, sagt Maeles. Über den Preis einer Holzplatte sei man sich nicht einig geworden. Dinge, die er kostenlos bekommt, verschenkt Maeles weiter. So wie das Feuerholz, das sich gerade ein Bewohner des gegenüberliegenden Wagenplatzes abholt. Unternehmen aus den umliegenden Baustellen haben es hier abgegeben.
Gebaut wird in Plagwitz in den letzten Jahren viel. „In Berlin hat man den Stuck abgehackt und gesagt, das ist jetzt ein Neubau“, sagt Maeles und erinnert sich an die Stadt seiner Kindheit. In Leipzig gebe man sich mehr Mühe mit der Sanierung, das gefällt ihm. Immer mehr junge Familien zieht es in die Gegend, auf der nahe gelegenen Karl-Heine-Straße reihen sich hippe Bars und Restaurants aneinander. „Ein Schandfleck“ sei sein Anwesen für manche Bewohner*innen gewesen, „dabei war das hier der erste Lichtblick“, sagt Christian Maeles und lacht. Er gibt sich kompromissbereit: „Vielleicht sollte ich öfter aufräumen.“
Bald ist der hintere Teil seines Grundstücks dran. Den hat Maeles bereits verkauft, ein Wohnheim für Studierende wird darauf entstehen. Schon seit fünf Jahren denkt er übers Aufhören nach, diesen Herbst soll wirklich Schluss sein: „Wenn du denkst, dass du sterbst, dann ist Herbst“, zitiert Christian Maeles frei nach Dieter Hildebrandt – auch wenn er meint, die Zeilen stammten von Erich Kästner.
Sterben möchte er noch nicht, sondern mit Delfinen schwimmen: „Man sollte öfters in der Sonne sitzen“, sagt er über den Ruhestand und blinzelt den Wintersonnenstrahlen entgegen. Er überlegt, den Rhein herunterzuschippern. Drei kleine Boote stehen im Garten des Recycling Museums. Dann winkt er ab: „Ach nee, ist’ne verrückte Idee. Ich bin ein Erdsteinzeichen.“
Aber auf Reisen gehen möchte er trotzdem. Er habe Freunde auf La Palma, auch seine Kinder will er besuchen. „Bis ich sie nerve und sie mich wegschicken. Das werde ich beim Erbe berücksichtigen“, sagt er und lacht trocken. Interesse am Recycling Museum haben sie nicht, Christian sucht nach Nachfolger*innen. Doch bis es so weit ist, thront er vom Hochofen über allem.
Und weil auf den Herbst der Winter folgt und danach bekanntlich Frühling wird, stellt sich wie jedes Jahr die Frage, was mit den Utensilien der kalten Monate geschehen soll. Zum Beispiel mit den Holzschlitten, die in Kellern und Dachböden viel Platz wegnehmen. In Maeles’ Laden finden sich gleich mehrere Exemplare. Dabei kann man mit wenigen Handgriffen ein individuelles Regal daraus bauen, das trotz Eisenbeschlägen an den Kufen auch in der nächsten Saison nicht zum alten Eisen gehört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen