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Das Leben der Boheme

Flugzeuge mit Atomantrieb, Helden mit Haartolle: Yves Chalands„Freddy Lombard“-Reihe erscheint in gelungener Neuübersetzung

Der, der aussieht wie ein schräger Tim aus „Tim und Struppi“, ist Freddy Lombard Foto: Abb.: Humanoids Inc., Los Angeles

Von Ralph Trommer

In den eher sachlichen Achtzigern kam das verspieltere Design der fünfziger Jahre wieder in Mode. Zumindest zeugt die Begeisterung einiger französischer Comickünstler davon. Yves Chaland, Serge Clerc und Ted Benoît liebten das Design (vor allem von Autos und Mode) und die Comics aus dieser Zeit. Die drei Zeichner bildeten den harten Kern einer europaweiten Strömung, die zunächst als „New Wave“-Stil, später treffender als „Nouvelle Ligne Claire“ bezeichnet wurde.

Inspiriert vom klaren Zeichenstil Hergés in „Tim und Struppi“, zeichneten sie für Avantgarde-Comicmagazine wie Métal Hurlant oder A suivre neue Comics in dessen Manier, unterwanderten ihn aber zugleich, indem sie subversive Elemente und erwachsene Themen in die Geschichten einschmuggelten – meist waren die Protagonisten Antihelden, Sex und Gewalt kam auch vor. Yves Chaland ist wohl bis heute der einflussreichste unter ihnen, trotz seines frühen Todes – er starb infolge eines Autounfalls 1990 im Alter von nur 33 Jahren. Er hinterließ eine Reihe von Serien: die Kurzkrimis um „Bob Fish“ etwa oder die Strips um den rüpelhaften Straßenjungen „Klein Albert“ sowie mehrere unvollendete Spirou-Geschichten. Seine vollendetste Figur wurde jedoch „Freddy Lombard“.

In der nun bei Carlsen erschienenen Gesamtausgabe werden dessen Abenteuer endlich wieder – in gelungener Neuübersetzung von Marcel Le Comte – komplett zugänglich gemacht, nachdem zuletzt 2010 eine Liebhaberausgabe in der Edition Zack erschienen war. Enthalten sind die drei ersten, kürzeren Geschichten und drei albenlange.

Der forsche, tollpatschige Titelheld Freddy Lombard gibt sich oft heroisch und zitiert klassische Verse, sieht aus wie ein etwas schräger Tim-Verschnitt: Neben weiten Bundfaltenhosen trägt er Trenchcoat, auf seinem eierförmigen Kopf steht eine blonde Tolle ab, die nach hinten gekämmt ist. Zusammen mit Sweep, einem glatzköpfigen Choleriker und Raufbold, und der im Vergleich zu ihren männlichen Begleitern rational handelnden Dina (mit rotem Kurzhaarschnitt) bilden sie ein Trio junger Bohemiens, das sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt.

Yves Chaland: „Freddy Lombard“.Gesamt­ausgabe. Carlsen Verlag, 240 Seiten, 29,99 Euro

Während die ersten Episoden grafisch und narrativ noch dem Geist der belgischen Jugend-Comiczeitschrift Spirou der fünfziger und sechziger Jahre verbunden sind (Chalands Zeichenstil ähnelt anfangs dem von „Jeff Jordan“-Zeichner Maurice Til­lieux) und haarsträubende Abenteuergeschichten mit grotesken Charakteren erzählen, werden die darauffolgenden Bände inhaltlich vielschichtiger. Kein Zufall, denn an den Geschichten schrieb nun Yann (Yann le Pennetier) mit, Jahrgang 1954, der damals ein aufstrebender Comicszenarist war und bis heute in seinem Metier zu den wichtigsten gehört.

Das Album „Der Komet von Karthago“ ist ein erster Höhepunkt der Reihe: Darin wird eine realistische Handlung mit karthagischen Mythen und einer unerklärlichen Naturkatastrophe verflochten. An der nordfranzösischen Küste taucht das Trio eher erfolglos nach versunkenen Schätzen. Freddy begegnet einer schönen, rätselhaften Tunesierin, dem Modell eines (möglicherweise) wahnsinnigen, mörderischen Malers. Im nahen Fischernest wird über einen sich der Erde nähernden Komet spekuliert. Die abergläubische Bevölkerung vermutet einen Zusammenhang zwischen den apokalyptischen Wetterkapriolen und dem schlechten Einfluss der Fremden auf ihr kleines Dorf …

In diesem Album hat Chaland seinen Stil gefunden, er lässt den Leser Naturgewalten und nächtliche, dezent erotische Schattenspiele erleben. Dabei lassen Chaland und Yann manchen Erzählstrang offen und regen so die Fantasie der Leser an.

Yves Chaland ließ sich von Hergés klarer Linie inspirieren und unterwanderte sie dann subversiv

Realistischer ist das darauffolgende Album „Ferien in Budapest“, das vom idyllischen Italien ins Budapest des Jahres 1956 führt, wo der Volksaufstand gerade am Kochen ist. Chaland wollte unbedingt dieses Thema aufgreifen, da die Comics aus dieser Zeit es komplett ignorierten. Während Sweep eine russische Offizierin becirct, können Freddy und Dina einem jungen Aufständischen zur Flucht verhelfen.

Höhepunkt der Reihe ist der letzte Band „F-52“: Nun arbeiten die drei als Stewards auf dem Jungfernflug einer neuen Passagiermaschine, die mit Atomkraft angetrieben wird – eine zur Zeit der Fünfziger nicht so abwegige Zukunftsvision. In diesem perfekten Kammerspiel werden mehrere Erzählstränge elegant parallel geführt – in einer Nebenhandlung wird etwa Dina sexuell durch ihren Chef belästigt – und am Ende zusammengebracht. Im Kern geht es um ein versnobbtes Ehepaar aus der Ersten Klasse, das die perfide Idee entwickelt, ihre eigene Tochter mit Downsyndrom gegen ein „gesundes“ Mädchen aus der Zweiten Klasse auszutauschen. Gegen den Widerstand ihrer Vorgesetzten können Freddy und Co. diesen Plan in letzter Sekunde vereiteln.

Yves Chaland verknüpfte stimmungsvolle Comicabenteuer mit politischen und kontroversen Inhalten. Anfangs stilistisch noch vielfältiger orientiert, näherte er sich zunehmend dem klaren Stil Hergés an, modernisierte diesen aber und verlieh den Zeichnungen mehr Dynamik. Nicht zuletzt überzeugte er durch seinen skurrilen, sarkastischen Humor, den er in herrlich fiesen bis dämonischen Charakteren auslebte.

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