: „Sie saß ganz zusammengesunken in der Küche des Wohnbereichs“
Martha Heinsius hat den Pflegeheimplatz ihrer Mutter in einer Bremer Einrichtung der Alloheim-Kette fristlos gekündigt. Die schwer demente 83-Jährige bekam nicht einmal ihre ärztlich verordneten Medikamente
Protokoll Simone Schnase
Ich habe meine Mutter 2013 in dem Heim untergebracht. Ich hatte mir viele Einrichtungen in Bremen angeguckt und fand das Heim für mich persönlich am schönsten. Man entscheidet ja auch danach, ob man sich selber dort wohlfühlt. Dort lief auch alles gut, aber dann, Anfang 2016, kam der Betreiberwechsel.
Wir Angehörige haben davon erst aus der Zeitung erfahren. Ich habe mich ein bisschen über Alloheim erkundigt und direkt auch einiges über die Kette gehört, das nicht so gut klang. Der damalige Heimleiter hat uns den Wechsel aber positiv verkauft und gesagt, er hätte jetzt ein besseres Budget und der vorherige Betreiber hätte kurz vor der Pleite gestanden. Also haben wir uns das erst mal ganz unvoreingenommen angeguckt.
Erst mal lief das alles auch ganz normal weiter. Aber dann ging im Herbst der ehemalige Leiter weg und dann hatte das Haus lange keine Leitung. Zum Jahreswechsel wurde uns seine Nachfolgerin vorgestellt, die war aber nur ganz kurz da, bevor sie krank wurde und dann auch schon wieder weg war. Weit über ein Jahr hatte das Haus keine feste Leitung. Erst im vergangenen Dezember hat ein fester Leiter angefangen, davor waren immer mal so Interimsleitungen da, auch welche, die gleichzeitig noch andere Häuser betreuten.
Anfang 2017 wurde es dann schlimm. Meiner Mutter, muss ich sagen, geht es körperlich glücklicherweise immer ganz gut. Sie ist halt nur sehr dement und kann sich kaum äußern. Deswegen ist mir bei ihr nichts aufgefallen. Andere Angehörige haben aber geklagt über den Zustand ihrer Eltern oder Eheleute. Ich habe dann auch einen Bewohner gesehen, der ständig mit nasser Hose rumgelaufen ist und ganz verzweifelt immer gesagt hat: „Bitte, bitte, nass, nass!“ Einen anderen habe ich mit seinem Katheterbeutel gesehen, der auf dem Fußboden lag. Der jaulte laut, weil sich keiner um ihn kümmerte.
Was mir damals besonders aufgefallen ist: Da liefen dauernd neue, völlig fremde Pflegekräfte herum, die nicht einmal die Namen der Bewohner kannten. Die haben hinten in die Pullover geguckt, auf die Namensschilder, um zu wissen, wer eigentlich wer ist. Vor dem Betreiberwechsel gab es dort auch Fremdkräfte, also Selbstständige oder Leiharbeiter, aber das waren oft die gleichen Leute. Einige davon haben mir Anfang 2017 gesagt: „Wir dürfen jetzt nicht mehr kommen.“ Dazu kam, dass zum Jahreswechsel acht Stammkräfte gekündigt hatten. Die eingespielten Leute sind also zum größten Teil vergrault worden. Damals hat mir die Hausärztin meiner Mutter, mit der ich immer guten Kontakt hatte, gesagt: „Die Angehörigen müssten in dieser Situation eigentlich was tun.“
Also habe ich im Februar einen Brief geschrieben an die Alloheim-Zentrale. Ich habe geschrieben, was mir so auffiel und auch, dass im Wohnbereich meiner Mutter, wo etwa 30 ausschließlich demente und wirklich richtig pflegebedürftige Menschen lebten, nur noch höchstens drei Pflegekräfte am Tag da seien. Und dass die verantwortliche Pflegefachkraft auch noch weitere Bereiche im Haus mitversorgen musste. Den Brief habe ich auch der Bremer Heimaufsicht zukommen lassen. Ich habe das alles sehr diplomatisch formuliert. Ich hörte lange nichts, erfuhr aber, dass die Heimaufsicht zwischenzeitlich wohl mal im Heim nachgeschaut hatte. Im Mai fragte ich dann selber bei der Heimaufsicht nach und bekam eine ziemlich lapidare Antwort, man hätte nachgeschaut und Maßnahmen zur Verbesserung getroffen.
Im Juli bekam ich dann von der Interimsleitung des Heims eine Einladung zum Gespräch. Da habe ich dann auch noch all die anderen Dinge gesagt, die schlechter geworden waren. Zum Beispiel das mit den Kontoauszügen: Die Bewohner haben ja ein Taschengeldkonto, für das sie, das stand auch so im Vertrag, jeden Monat Auszüge bekommen sollten. Das passierte aber nicht mehr. Oder dass im Haus nicht mehr selber gekocht wurde und der Speiseplan reduziert wurde. Da waren auf einmal Menü eins und Menü zwei identisch – da konnte man schon von Täuschung sprechen. Na ja, und natürlich die desolate Personalsituation.
Martha Heinsius’echter Name ist der Redaktion bekannt – und ebenso, in welcher Bremer Einrichtung der Alloheim-Kette ihre Mutter bis Mitte Februar 2018 gelebt hat.
Die Interimsleitung versprach dann, dass alles besser werden sollte. Kontoauszüge sollten aber nur noch auf Anfrage erstellt werden und ansonsten wurde ich darauf verwiesen, dass zur Erhöhung der Qualität die Kassen Ansprechpartner seien. Ich muss dazu sagen, dass diese Interimsleitung schon sehr bemüht war und auch signalisiert hat, auf Seiten der Angehörigen zu stehen, dass sie aber auch immer den Spagat machen musste, um auch ihrem Arbeitgeber Genüge zu tun. Sie hat auch von Anfang an gesagt, sie könnte nicht fest in Bremen arbeiten, weil sie auch noch ein anderes Haus leiten müsste, und dann wurde sie auch von einer anderen Leitung abgelöst.
Es wurde gar nichts besser. Es wurde nicht vernünftig geputzt, dreckige Bettwäsche nicht gewechselt, die Stationsküche war verdreckt … Ich habe das auch alles fotografiert. Anfang Januar war dann auch Wäsche verloren gegangen. Ich hatte meiner Mutter fünf Pullover gekauft, die waren alle nicht wieder aufgetaucht. Auch andere Sachen verschwanden. Selbst der Ehering meiner Mutter war irgendwann weg.
Mitte Januar, also vor sechs Wochen, erfuhr ich dann, dass die Wohnbereichsleiterin von sich aus die Heimaufsicht angerufen hat, weil sie morgens ganz alleine da stand mit den etwa 30 Bewohnern. Niemand sonst war da, alle hatten sich krank gemeldet und es gab keinen Ersatz. Jemand von der Heimaufsicht war dann auch da und hat dann wohl einen Aufnahmestopp verhängt. Der wurde aber schon eine Woche später wieder aufgehoben.
Bis Anfang Februar sah dann alles auch wieder einigermaßen aus, aber dann sah ich eines Tages, dass meine Mutter mittags in der Fernsehecke saß, obwohl sie eigentlich Mittagsschlaf halten sollte. Sie saß da und hustete stark. Sie hatte auch ganz rote, eitrige Augen. Die Pflegefachkraft sagte mir, die Hausärztin sei informiert. Am Tag darauf fand ich meine Mutter aber in einem noch elenderen Zustand vor. Sie saß ganz zusammengesunken in der Küche des Wohnbereichs, hatte nur dünne Söckchen an, obwohl sie ganz vorne in ihrem Schrank warme Kniestrümpfe liegen hatte, und die Knöpfe an ihrem Pullover standen offen. Ein Unterhemd hatte sie gar nicht an. Da war ein völlig fremder Pfleger von irgendeiner Fremdfirma, der beklagte sich darüber, dass er überhaupt nicht eingewiesen worden sei. Ich konnte dem gar keinen Vorwurf machen, weil ich merkte, wie aufgelöst der war.
Ich habe dann die Heimaufsicht angerufen und mich auf die Suche nach einer anderen Einrichtung für meine Mutter gemacht. Da war für mich das Maß voll. Mein Mann hat früher immer gesagt, das ist doch überall ähnlich, Pflege ist doch überall eine Katastrophe, du kommst doch bloß vom Regen in die Traufe. Aber als er sich das da angeguckt hat, hat er auch gesagt: Deine Mutter muss da weg.
Am selben Tag abends bin ich noch mal hin, aber niemand von den Pflegekräften konnte mir sagen, ob die Hausärztin nun da war oder nicht. Ich habe mich dann auf die Suche nach einer Fachkraft gemacht, aber niemanden gefunden. Stattdessen traf ich dann jemanden von der Heimaufsicht. Der drückte dann den Notrufknopf und wir warteten gemeinsam. Es hat eine Viertelstunde gedauert, bis jemand kam – nach einem Notruf! Die Fachkraft konnte mir dann auch nicht sagen, ob die Hausärztin da war. Ich blieb dann erst mal da und bekam mit, dass meine Mutter abends einfach so, ohne Waschen, ins Bett gelegt wurde. Eine Pflegerin sagte mir, dass nur morgens gewaschen würde: „Wir legen die Leute hin und gehen später noch mal rum und gucken, was wir dann noch tun können“, sagte sie.
Am nächsten Tag erfuhr ich von der Hausärztin, dass sie tags zuvor bei meiner Mutter war und Augentropfen und Tabletten verordnet hatte. Auf Nachfrage im Alloheim suchte die Pflegefachkraft dann nach den verordneten Medikamenten, fand sie aber nicht. Auch am nächsten Tag gab es immer noch keine Medikamente. Eine Pflegerin sagte zu mir: „Ich bekomme Magenkrämpfe, wenn ich die Verhältnisse hier sehe!“ Obwohl die Medikamente inzwischen gefunden wurden – sie lagen auf einem falschen Tablett! – wurde meine Mutter auch am nächsten Tag nicht vernünftig versorgt: Sie hatte so verklebte Augen, dass sie sie nicht öffnen konnte. Ich habe ihr dann die Augen mit warmem Wasser ausgewaschen. Und einen Tag später war dann Gott sei dank endlich der Umzug ins neue Heim.
Ich habe den Alloheim-Platz meiner Mutter fristlos gekündigt. Das wurde nach einigen Debatten auch akzeptiert. Das neue Heim wollte natürlich Unterlagen haben, den sogenannten Pflegeüberleitungsbogen. Was ich bekam, war aber nur ein Medikamentenplan. Das neue Heim wollte auch den Pflegeplan meiner Mutter. Auf Anfrage bei dem Einrichtungsleiter bekam ich aber bloß die Antwort: „Gibt es nicht.“
Meine Mutter ist jetzt seit gut zwei Wochen in dem neuen Heim und ich muss sagen, dass sie aufgeblüht ist. Sie hatte sich vorher gar nicht mehr so richtig anfassen lassen, sie hat wahrscheinlich eher so die ruppige Art von Pflege zu spüren bekommen. Aber jetzt ist sie viel lebendiger und lässt sich auch wieder anfassen. Im neuen Haus, sagte man mir, machen die Pfleger auch alles zu zweit, das war ja im Alloheim gar nicht mehr so. Die Atmosphäre ist ruhiger und es gibt Ergotherapeuten, Sozialbetreuer und andere Leute, die immer schauen, ob alles okay ist.
Alle sagen immer, so ein Heim kostet ja ein Schweinegeld. Aber: Die dickste Position von meiner Mutter liegt irgendwo zwischen 1.500 oder 1.700 Euro – eben für die Pflege. Aber wenn man das mal umrechnet, dann sind das 60 Euro pro Tag für jemanden, der wirklich nichts mehr selber kann. Das ist doch viel zu wenig, das ist im Grunde ein besserer Stundenlohn für einen Handwerker!
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