piwik no script img

Raubritter der Pflege

Betroffene kritisieren zwei Häuser der Alloheim-Kette in Nordfriesland. Die Liste der Vorwürfe ist lang

Von Esther Geißlinger

Urinflecken im Bettzeug, Notruftasten außerhalb der Reichweite bettlägeriger Pflegebedürftiger, zu wenig zu essen und zu trinken, sogar ein Todesfall, weil in einem Notfall keine ausgebildete Pflegekraft verfügbar war – die Liste der Vorwürfe gegen zwei Pflegeheime in Bredstedt und Niebüll ist lang. Ehemalige Beschäftigte und frühere BewohnerInnen hatten sich an den NDR gewandt, der über den Fall berichtete. Besitzer der beiden Häuser in Nordfriesland ist der Pflegekonzern Alloheim, der bundesweit rund 160 Einrichtungen betreibt.

Die Firma mit Sitz in Düsseldorf ist längst ein Spekulationsobjekt, das von einem Investor zum nächsten weiterverkauft wird. Von „Raubrittern in der Pflege“ spricht die Gewerkschaft Ver.di und beschreibt Alloheim als aktuelles Beispiel, wie „aus Geld noch mehr Geld“ gemacht wird: „Neben der Expansion setzen die Firmen oft Programme zur Kostensenkung um, durch Outsourcing, Arbeitsverdichtung oder Tarifflucht. All das steigert den Verkaufspreis – auf Kosten von Beschäftigten und pflegebedürftigen Menschen“, so Ver.di-Altenheimexperte Daniel Behruzi.

Alloheim mit seinen rund 14.500 Beschäftigten wechselte in den vergangenen Jahren mehrfach den Besitzer: Nach dem britischen Investor Star Capital übernahm die US-amerikanische Beteiligungsgesellschaft Carlyle die Heime, vor Kurzem stieg der Investor Nordic Capital aus Stockholm ins Geschäft ein.

686 Pflegeheime zählte das Statistikamt Nord bei seiner jüngsten Untersuchung in Schleswig-Holstein, mit steigender Tendenz: Bei der Erhebung zwei Jahre zuvor waren es noch 670. In Hamburg sind es dagegen nur 191 Heime. Das Missverhältnis bleibt selbst bei der Annahme erhalten, dass die Einrichtungen in der Hansestadt mehr Betten haben. In Schleswig-Holstein leben rund 2,8 Millionen Menschen, in Hamburg sind es 1,8 Millionen, also ein gutes Drittel weniger. Doch in Schleswig-Holstein sind mit 35.000 mehr als doppelt so viele Personen in Pflegeeinrichtungen wie in Hamburg untergebracht, dort sind es nur 16.000. Im strukturschwachen Flächenland sind Heime für die Alten ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Gerade am Hamburger Rand ballen sich die Pflegeeinrichtungen: die Kreise Segeberg, Stormarn und Pinneberg bieten zusammen knapp 12.000 vollstationäre Betten.

Abstimmung mit den Füßen

Während die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, senkt sich die Wippe auf der Seite des Personals. Selbst Einrichtungen mit gutem Ruf müssen um Fachkräfte kämpfen, Examinierte und Pflegedienstleitungen sind höchst gefragt. In Häusern mit hohem Kostendruck „stimmen die Pflegekräfte mit den Füßen ab und wollen in diesen Einrichtungen nicht mehr arbeiten“, so Marret Bohn, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, zum aktuellen Skandal in den Alloheimen. „Das ist bei der erschütternden Situation vor Ort nachvollziehbar.“

Die Lage der Alloheim-Häuser in Bredstedt und Niebüll soll nach dem Willen der SPD Thema im Sozialausschuss des Landtags werden. Die Oppositionspartei will auch die Rolle der Heimaufsicht und des medizinischen Dienstes der Krankenkassen beleuchten. Auch Katja Rathje-Hoffmann von der CDU „erwartet, dass diese Angelegenheit durch die Heimaufsicht vollständig aufgeklärt wird“. Die Aufsicht hatte zwischenzeitlich einen Aufnahmestopp verhängt, die Häuser aber nicht geschlossen.

Im jüngsten „Pflege-TÜV“ hatten beide Einrichtungen noch verhältnismäßig gute Noten erhalten. „Es zeigt sich erneut, dass die Bewertungen des medizinischen Dienstes der Krankenkassen oft nichts mit der tatsächlichen Erlebnisqualität der Bewohner zu tun haben. Papier ist geduldig“, sagt Birte Pauls, Pflegeexpertin der SPD-Landtagsfraktion. Aktuell wird die Note meist nach Aktenlage erteilt. Pauls fordert eine andere Art der Bewertung, vor allem aber „gesetzliche Personalbemessungsschlüssel, denen sich auch die gewinnorientierten Konzerne nicht entziehen können“.

Die Heimleitungen der beiden Häuser hatten die Vorwürfe zurückgewiesen. Dennoch soll sich nun etwas tun: Ab Mai werde die Seniorenwohnanlage Bredstedt saniert, heißt es auf deren Homepage, „um Ihnen auch in Zukunft ein attraktives Zuhause, nach neuesten Kenntnissen und unter Berücksichtigung der aktuellen Standards, bieten zu können“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen