piwik no script img

Kolumne Teilnehmende BeobachtungLasst uns über das Wetter reden!

Jana Lapper
Kolumne
von Jana Lapper

Trotz eisiger Kälte herrscht in alten Leipziger Backstuben seit Jahrzehnten die gleiche Gemütlichkeit. Neue Kunden müssen das soziale Eis brechen.

In manchen Leipziger Backstuben ist seit Jahrzehnten die Zeit stehengeblieben Foto: dpa

D ieses eiskalte Sauwetter! Es ist das Gesprächsthema Nummer eins dieser Tage. Mindestens minus neun Grad habe es draußen, verkündet der eine. Der andere beteuert, es habe bestimmt minus zwölf Grad angezeigt, als er das letzte Mal seine Wetter-App gecheckt hat. Man würde sich schon gar nicht mehr hinaus trauen, man wüsste schon gar nicht mehr, was anziehen.

Tatsächlich scheint es heute die größte Herausforderung des Tages zu sein, von A nach B zu gelangen, ohne sich Nase oder Zeh abzufrieren. Umso besser, wenn das Ziel dann wohlig warm ist und nach frisch gebackenem Brot duftet: eine der wunderbar altmodischen Bäckereien der Stadt.

Auch wenn es in Leipzig immer mehr Ketten gibt – im Vergleich zu anderen Städten scheint es noch viele Privatbäckereien zu geben. Die meisten von ihnen halten sich länger als jedes Hipster-Geschäft auf der Karl-Heine – und die Jahre, die seit ihrer Eröffnung ins Land gegangen sind, sieht man ihnen oft an. Seit Jahrzehnten hat sich in den wenigen Quadratmeter kleinen Verkaufsräumen kaum etwas verändert.

„Wir backen noch mit Freude“, verspricht ein Schild. Das Lächeln der Bäckereifachverkäuferin scheint das zu bestätigen. Mitte 50, flotter Kurzhaarschnitt, randlose Brille, strahlend weiße Schürze. Wie lange sie hier wohl schon arbeitet? Zehn Jahre? 20 Jahre? Nicht nur das Personal und die Backweise scheinen schon immer dieselben gewesen zu sein. Das Interieur muss schon in den 80er Jahren so dagestanden haben – inklusive der quietschbunten Plastikblumen auf dem Tresen.

Die taz im Neuland

Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.

Sie haben Anregungen, Kritik oder Wünsche an die Zukunftswerkstatt der taz? Schreiben Sie an: neuland@taz.de. Das Team der taz.leipzig erreichen sie unter leipzig@taz.de

An einem der beiden Tischchen im Schaufenster sitzt ein älterer Herr, so als ob er seit Jahren zur Einrichtung dazugehört. Er nippt an einem Kaffee und pausiert seine Mohnschnitte, während er verwundert aufblickt, um die Eintretende zu mustern. Einen Moment lang fühle ich mich wie ein Eindringling. Dann sage ich: „Brrr, was für ein Wetter!“ Der Mann am Tisch löst den grimmigen Blick durch warme Worte ab: „Immer rein in die warme Stube.“ Über das Wetter zu reden ist eben noch immer ein soziales Schmiermittel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jana Lapper
Redakteurin
Jahrgang 1991. Seit 2018 bei der taz, seit 2019 als Redakteurin im Auslandsressort mit Schwerpunkt online und Südosteuropa.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!