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Kommentar Europarede des Labour-ChefsCorbyn taktiert gegen May

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Bislang äußerte sich der Labour-Chef eher lustlos zum Brexit. Nun ändert sich das: Eine klare Haltung zur EU könnte taktische Vorteile bringen.

Gibt den Takt an: Jeremy Corbyn Foto: dpa

M an musste ihn zum Jagen tragen. Die Führungsriege der britischen Labour Party hat ihren Chef Jeremy Corbyn dazu gedrängt, in Sachen Zollunion Farbe zu bekennen, um die Brexit-Politik der Partei unterscheidbarer von der Tory-Strategie zu machen. Umfragen haben ergeben, dass Labour durch eine EU-freundlichere Haltung ebenso viele Wähler gewinnen wie verlieren würde.

Wenn es um bezahlbare Wohnungen, um das marode Gesundheitssystem oder um soziale Gerechtigkeit geht, zeigt Corbyn leidenschaftlichen Einsatz. Beim Thema Europäische Union, die er mal als „Club der Reichen“ bezeichnet hat, ist er dagegen eher lustlos.

Corbyns Rede signalisierte denn auch weniger einen Wandel seiner EU-Politik, sie war eher Wahlkampf. Die Tories sind über das Thema Brexit so tief zerstritten, dass sie wahrscheinlich ihre Premierministerin Theresa May früher oder später stürzen werden.

Mays Taktik hat ihr bisher das politische Überleben gesichert: Ihre Äußerungen strotzen vor Verschwommenheit. So sind die beiden Flügel in ihrer Partei, die Gegner und Befürworter des Brexit, damit beschäftigt, sich verwirrt am Kopf zu kratzen. Dasselbe galt bisher aber auch für die Labour Party.

Mays Abgang beschleunigen

Corbyn hätte die Sache aussitzen und darauf spekulieren können, dass einer der beiden Tory-Flügel irgendwann die Nase voll hat und May in die Wüste schickt. Indem er – wenn auch recht vage – sein Herz für die Zollunion entdeckt hat, schafft er sich Gelegenheiten, die Sache zu forcieren. Bei Abstimmungen im Unterhaus kann Labour, gemeinsam mit den Liberaldemokraten und den Brexit-Gegnern bei den Tories, der Premierministerin empfindliche Niederlagen beibringen und ihren Abgang – und damit wohl auch Neuwahlen – beschleunigen.

Das hat im Dezember schon ganz gut geklappt, als das Unterhaus gegen Mays Willen beschloss, dass der Scheidungsvertrag zwischen Großbritannien und der EU den Abgeordneten zur Abstimmung vorgelegt werden müsse. Corbyn ist mit seiner Rede nicht zum weichen Brexit konvertiert, sondern hat die Jagd auf die Premierministerin verschärft.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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3 Kommentare

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  • Der Brexit ist tatsächlich nicht so wichtig, wie die Abkehr vom neoliberalen Kurs, der seit Thatcher die Wirtschaftspolitik dominiert. Dummerweise ist die EU immer noch dem neoliberalen Wahn verfallen. Eine Abkehr wäre ohne Brexit eher schwerer.

    • @Martin_25:

      Hallo Martin,

      erfolgreiche linke Politik geht auch in der EU. Die Portugiesen kriegen das hin.

    • @Martin_25:

      Grundsätzlich haben sie Recht, mit einer Ausnahme.

       

      Der Brexit ist ÄUßERST wichtig.

       

      Egal wie man zum Brexit steht, die Briten haben sich in einem demokratischen Referendum dafür entschieden (Zwar sehr knapp aber immerhin).

       

      Sollte die britische Regierung ihn nicht umsetzen ist das eine schallende Ohrfeige für jeden Demokraten.