Kommentar Europarede des Labour-Chefs: Corbyn taktiert gegen May
Bislang äußerte sich der Labour-Chef eher lustlos zum Brexit. Nun ändert sich das: Eine klare Haltung zur EU könnte taktische Vorteile bringen.
M an musste ihn zum Jagen tragen. Die Führungsriege der britischen Labour Party hat ihren Chef Jeremy Corbyn dazu gedrängt, in Sachen Zollunion Farbe zu bekennen, um die Brexit-Politik der Partei unterscheidbarer von der Tory-Strategie zu machen. Umfragen haben ergeben, dass Labour durch eine EU-freundlichere Haltung ebenso viele Wähler gewinnen wie verlieren würde.
Wenn es um bezahlbare Wohnungen, um das marode Gesundheitssystem oder um soziale Gerechtigkeit geht, zeigt Corbyn leidenschaftlichen Einsatz. Beim Thema Europäische Union, die er mal als „Club der Reichen“ bezeichnet hat, ist er dagegen eher lustlos.
Corbyns Rede signalisierte denn auch weniger einen Wandel seiner EU-Politik, sie war eher Wahlkampf. Die Tories sind über das Thema Brexit so tief zerstritten, dass sie wahrscheinlich ihre Premierministerin Theresa May früher oder später stürzen werden.
Mays Taktik hat ihr bisher das politische Überleben gesichert: Ihre Äußerungen strotzen vor Verschwommenheit. So sind die beiden Flügel in ihrer Partei, die Gegner und Befürworter des Brexit, damit beschäftigt, sich verwirrt am Kopf zu kratzen. Dasselbe galt bisher aber auch für die Labour Party.
Mays Abgang beschleunigen
Corbyn hätte die Sache aussitzen und darauf spekulieren können, dass einer der beiden Tory-Flügel irgendwann die Nase voll hat und May in die Wüste schickt. Indem er – wenn auch recht vage – sein Herz für die Zollunion entdeckt hat, schafft er sich Gelegenheiten, die Sache zu forcieren. Bei Abstimmungen im Unterhaus kann Labour, gemeinsam mit den Liberaldemokraten und den Brexit-Gegnern bei den Tories, der Premierministerin empfindliche Niederlagen beibringen und ihren Abgang – und damit wohl auch Neuwahlen – beschleunigen.
Das hat im Dezember schon ganz gut geklappt, als das Unterhaus gegen Mays Willen beschloss, dass der Scheidungsvertrag zwischen Großbritannien und der EU den Abgeordneten zur Abstimmung vorgelegt werden müsse. Corbyn ist mit seiner Rede nicht zum weichen Brexit konvertiert, sondern hat die Jagd auf die Premierministerin verschärft.
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