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Alle Menschen haben Menschenrechte

Angesichts der aktuellen Zuwanderung pflegen Konservative gerne in hysterische Schnappatmung zu verfallen. Anders als sie bemüht sich der englische Philosoph David Miller in seinem Buch über „Fremde in unserer Mitte“ um eine entschieden ruhige und sachlich angemessene Argumentation

Von Rudolf Walther

Die Flüchtlings- – neutraler gesagt – Migrationsfrage ist seit 2015 wieder aktuell geworden. Konservative und dezidiert nationale Kreise hat die kurzzeitig gestiegene Zuwanderung von Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten förmlich hysterisiert: „Die Aufgabe der Kontrolle darüber, wer ins Land kommt, wirkt bis heute politisch nach, weil damals nicht nur, aber gerade im bürgerlichen Lager das Grundvertrauen vieler Deutscher in ihren Staat und seine Rechtsordnung erschüttert, wenn nicht zerstört wurde.“ So kommentierte Berthold Kohler, einer der Herausgeber der FAZ,am 27. September 2017 den Wahlausgang. Eine entschieden ruhigere und sachlich angemessenere Argumentation pflegt der englische Philosoph David Miller in seinem Buch über „Fremde in unserer Mitte“. Noch im 19. Jahrhundert waren „unregulierte Migrationsbewegungen“ und eher unsystematische Grenzkontrollen die Regel. In den USA etwa wurden erstmals 1882 Ein­wanderungsbeschränkungen erlassen.

Gegenüber diesem Laisser-faire betont Miller zweierlei: Das Recht von Staaten, ihre Grenzen zu kontrollieren, aber auch deren Pflicht, die Interessen und elementaren Rechte der Einwanderer zu berücksichtigen. Die Gründe dafür sind so einfach wie vernünftig unbestreitbar: Einwandernde – aus welchen Motiven auch immer – sind Menschen und genießen als solche unveräußerliche und unverlierbare Menschenrechte. Den Menschen, „deren Menschenrechte unweigerlich in Gefahr gerieten“, wenn sie an ihrem ursprünglichen Aufenthaltsort geblieben wären, müssen demokratische Rechtsstaaten Schutz gewähren, mindestens solange, bis sich die menschenrechtswidrige Situation an ihrem Herkunftsort verändert hat. Euphemistisch „Abschiebungen“ genannte Deportationen von Flüchtlingen in Gebiete, die nach undurchsichtigen, auf jeden Fall einseitig bestimmten Kriterien mit fadenscheinigen Gründen zu „sicheren Drittstaaten“ erklärt wurden, wären nach diesem Grundsatz rechtswidrig.

Außer zum Schutz der Menschenrechte von Kriegsflüchtlingen, politisch, religiös oder ethnisch Verfolgten, aber auch von Wirtschaftsmigranten, die der Armut entfliehen, sind demokratische Rechtsstaaten zur Einhaltung des Prinzips der Fairness gegenüber Einwanderern verpflichtet. Miller klärt mit einigem Aufwand, was Fairness auf diesem Feld bedeutet. Fairness ist keine Einbahnstraße, sondern gilt gegenseitig. Der Einwanderer muss nicht nur die Rechtsordnung des Aufnahmestaates respektieren, sondern sich mit der Geschichte, Sprache und Kultur des Landes vertraut machen. Umgekehrt ist der Aufnahmestaat verpflichtet, die materiellen Grundlagen für die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Integration der Neuankömmlinge bereitzustellen.

Begrifflich etwas unklar bleibt Müller in der Frage der nationalen Selbstbestimmung. Einerseits hält er die Forderung von kanadischen Nationalisten in Quebec, die „Herren im eigenen Land“ sein beziehungsweise werden wollen, für „absolut nachvollziehbar“. Andererseits plädiert er mit guten Gründen dafür, dass zur Integration von Einwanderern auch gehört, sie möglichst schnell zu Staatsbürgern zu machen, um die Entstehung von Parallelgesellschaften zu verhindern. Aber in dem Maße, wie Einwanderer zu Bürgern werden, verdampft die Frage nach der numinosen „nationalen Selbstbestimmung“. Als Staatsbürger sind die ehemaligen Einwanderer in jeder Hinsicht Gleiche und Gleichberechtigte. Millers Argumentation wird vollends konfus, wenn er schließlich einräumt, es bleibe offen, ob es „tatsächlich ein Recht auf Selbstbestimmung“ gebe, da es sich dabei „eher um ein Interesse als ein Recht“ handle. Interessen können legitim sein, haben aber per se keinen Rechtscharakter.

Gelegentlich greift Miller zu etwas schiefen Vergleichen. So betont er das Recht von Staaten, Einwanderungswillige an der Einwanderung zu hindern, wofür „eine Erklärung für die Weigerung“ genüge. Dabei zieht er eine Parallele zwischen einer Invasionsarmee und Flüchtlingen, die an der Landesgrenze auftauchen. Mit beiden, so Miller, sei man nicht zu Verhandlungen oder „Abwägungsprozessen“ verpflichtet. Hier begeht Miller, was man in seiner Profession einen Kategorienfehler nennt – Armeen und unbewaffnete Flüchtlinge „bedrohen“ Grenzen kategorial unterschiedlich. Von solchen Unebenheiten und gelegentlichen Abstürzen in einen etwas ausgelaugten Liberalismus abgesehen, bewegt sich Miller in der vergifteten Atmosphäre der Diskussion über Flucht und Einwanderung umsichtig klug abwägend.

David Miller: „Fremde in unserer Mitte. Politische Philosophie der Einwanderung“. Aus dem Englischen von Frank Lachmann, Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 330 S., 32 Euro

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