: Zeit für eine Obduktion
Dennis M. steht vor Gericht. Sein Fall verändert den Umgang mit vermeintlichen Selbstmorden
Von Uta Eisenhardt
Vor dem Berliner Landgericht muss sich aktuell Dennis M. wegen Verdacht des zweifachen Mordes verantworten. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, dass jeder Tote von einem Rechtsmediziner untersucht wird. Denn weil beim vermeintlichen Selbstmord seiner Ehefrau 2013 nicht untersucht wurde, ob es sich möglicherweise um Mord handelte, konnte der 52-jährige M. im Jahr 2016 womöglich noch einmal töten.
Am Ende der Beweisaufnahme am Mittwoch spricht vieles dafür, dass es M. im Januar 2013 gelungen war, die Ermordung seiner Ehefrau Ina M. als Suizid zu tarnen. Erst nachdem er im November 2016 verdächtigt wurde, Marita K., die 66-jährige Mutter seiner damaligen Verlobten, in ihrem Haus erstochen und dies als Raubmord getarnt zu haben, wurden die Umstände des Todes von Ina M. erneut beleuchtet.
Am Morgen ihres Todestages half Dennis M. seinem Sohn beim Umzug. Als er am Nachmittag wiederkam, so berichtete der Witwer den von ihm alarmierten Polizisten, habe er seine Frau tot aufgefunden. Das Kabel, mit dem sie an der Decke hing, habe er zerschnitten, die Tote auf den Boden gelegt. Dann brach der Witwer zusammen und kam ins Krankenhaus.
Die Beamten vom Kriminaldauerdienst untersuchten und fotografierten den Leichnam. Ihren Bericht übergaben sie einem Sachbearbeiter für Todesermittlungsverfahren. Der hatte vom Hausarzt der Toten erfahren, dass diese unter Depressionen litt und vor Kurzem an Brustkrebs erkrankt war. „Für lange Ermittlungen haben wir keine Zeit“, sagte der Sachbearbeiter vor Gericht. Vier Stunden seien es pro Todesfall. Damals verzichtete er darauf, bei der Staatsanwaltschaft eine Obduktion anzuregen. Der Leichnam wurde eingeäschert.
Zweifel am Selbstmord
Erst nach ihrer Beerdigung lasen die Kinder den angeblichen Abschiedsbrief ihrer Mutter und bekamen Zweifel an der Selbstmordtheorie. Hatte der Vater sie getötet, weil sie sich endlich entschlossen hatte, ihn zu verlassen? Die Kinder von Ina M. glaubten, dafür keine Beweise vorlegen zu können. Sie wandten sich nicht an die Polizei – bis Marita K. tot in ihrer Küche lag und Dennis M. in Tatverdacht geriet.
Nun betrachtete erstmals auch ein Rechtsmediziner die Fotos der toten Ina M. und meinte, eindeutige Anhaltspunkte für eine Erdrosselung zu sehen. Im Prozess fuhr die Verteidigung renommierte Gegengutachter auf, die beide Todesarten für möglich hielten. Markus Rothschild, der als Obergutachter bestellte Rechtsmediziner aus Köln, schloss sich jedoch dem Berliner Kollegen an. Auch der psychiatrische Gutachter zog in seinem Gutachten die Möglichkeit in Betracht.
Sollte das Gericht beide Fälle für Morde und Dennis M. für den Täter halten, drohen ihm lebenslängliche Haft bei besonderer Schwere der Schuld und Sicherungsverwahrung.
Bereits jetzt wurden in Berlin Konsequenzen aus der Anklage von Dennis M. gezogen: Jeder, der sich vermeintlich selbst erhängt hat, muss obduziert werden. Im Bundesland Bremen geht man seit der Tötungsserie des Krankenpflegers Niels H. noch weiter: Seit dem 1. August muss jeder Verstorbene von einem Rechtsmediziner oder weitergebildeten Klinikarzt äußerlich untersucht werden.
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