„Freiwilligkeit ist eine Voraussetzung“

Datensammeln gehört beim Profisport dazu, egal ob zur Leistungssteigerung oder zur Dopingkontrolle. Die Datenschützerin Imke Sommer sieht das kritisch: Etwa, wenn bestimmte Krankheitsrisiken ermittelt werden. Oder in einen Algorithmus mal eben eine Hautfarbe eingebaut wird

Imke Sommer

52, ist Datenschutzbeauftragte des Landes Bremen. Sie befasst sich mit Beschäftigten­datenschutz und hat deshalb auch zum Thema Datenschutz im Leistungs- und Profisport gearbeitet.

Interview Jens Uthoff

taz am wochenende: Frau Sommer, im Leistungssport haben wir es mit Athletinnen und Athleten zu tun, die sich verbessern wollen. Die Auswertung von physiologischen und medizinischen Daten hilft ihnen dabei. Was ist schlecht am Sammeln ihrer Daten?

Imke Sommer: An sich ist Datenverarbeitung keineswegs verboten oder „schlecht“. Aber beim Erheben und Verarbeiten von Daten brauchen Institutionen entweder eine gesetzliche Grundlage – die sehe ich in diesem Bereich nicht – oder die Einwilligung desjenigen, dessen Daten verwendet werden. Es gibt ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. In dieses Grundrecht kann eingegriffen werden, wenn der Grundrechtsträger selbst einwilligt. Die Sache mit der Einwilligung ist allerdings nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt.

Warum nicht?

Jede einzelne Datenverarbeitung braucht eine Einwilligung. Also als Erstes die Erhebung, dann die Speicherung, dann die Weiterleitung und jede weitere Verwendung. Nach der Erfassung geschieht ja etwas mit diesen Daten: Es kommt ein Algorithmus, der sie interpretiert. Der Einwilligende muss die Logik des Algorithmus verstehen. Sonst könnte die Vereinbarung unwirksam sein.

Heißt das, bei 99 Prozent der Normalsterblichen kann es gar keine Einwilligung geben, weil sie die Algorithmen nicht verstehen?

Nein, es geht natürlich nicht darum, die Algorithmen selbst zu verstehen. Ich muss über die involvierte Logik informiert sein. Nehmen wir das Beispiel Schufa: Ich muss verstehen, warum es Konsequenzen haben kann, wenn ich eine bestimmte Postleitzahl habe oder wie die Schufa mein Geschlecht und mein Alter auswertet. Es reicht nicht, wenn ich weiß, dass die Daten auf irgendeine wirre Art und Weise verknüpft werden.

Gibt es weitere Probleme bei der Einwilligung?

Die Freiwilligkeit ist eine weitere Voraussetzung. In einem hierarchischen Beschäftigungsverhältnis wie dem Profisport ist das zum Teil schwer zu beurteilen. Es sind immer Nachteile zu befürchten.

Bei den Olympioniken sind die Landessportverbände für die Kaderathleten zuständig. Deren Daten werden in der Datenbank für Leistungssport in Deutschland (DaLiD) verarbeitet. Beim größten Landessportverband in Nordrhein-Westfalen gibt es Einwilligungen, unter denen steht, dass für den Sportler bei „Widerspruch keinerlei Ansprüche auf Unterstützungen und/oder Leistungen aus dem leistungssportbezogenen Fördersystem bestehen“. Wie freiwillig ist das?

Sie merken selbst, dass eine Koppelung mit drastischen Konsequenzen gegen die Freiwilligkeit der Einwilligung spricht.

Ist denn eine solche Datenbank ein grundsätzliches Problem?

Nein. Es gibt eine Menge datenschutzkonformer Datenbanken. Aber es ist immer besser, wenn es gesetzliche Grundlagen dafür gibt, und die sehe ich in diesem Fall noch nicht. Der Gesetzgeber könnte doch einen Bereich wie den Leistungssport auf nationaler oder auf europäischer Ebene regeln. Das wäre gegenüber einzelnen Einwilligungen vorzuziehen, denn dann gäbe es tatsächlich eine demokratisch legitimierte Entscheidung, die über die Befugnisse und die Grenzen bei der Datennutzung bestimmt.

Bei Profisportlern gehört der Gedanke der Leistungssteigerung zum Beruf dazu, im Fußball gibt es hohe Entschädigungen dafür, dass private Daten nicht mehr ganz so privat sind. Sehen Sie Leistungssportler wirklich als normale Arbeitnehmer an?

Dort wird etwas ausprobiert, das auf andere Bereiche übertragbar ist. Es sind Leistungs- und Verhaltenskontrollen durch Technik und Algorithmen, die da stattfinden. Und wenn die für einen bestimmten Bereich eingeführt werden, können sie auch in andere Sparten eindringen. Der Gedanke ist nicht so weit hergeholt. SAP stellt etwa bei der TSG Hoffenheim diese Technologien zur Verfügung. Natürlich kann eine nächste Überlegung sein, wie diese auf eine Fa­brik oder den Dienstleistungssektor übertragen werden können.

Das heißt, es geht Ihnen eher um das schlechte Vorbild, das der Profisport darstellt?

Auch innerhalb des Sports sind Information und Transparenz gefragt. In einen Algorithmus kann zum Beispiel auch schnell mal eine Hautfarbe eingebaut werden, ohne dass das jemand von außen erkennt. Im Übrigen darf man auch nicht immer nur von Superstars wie Cristiano Ronaldo ausgehen, der eine ganz andere Verhandlungsposition hat als der einfache Profifußballer, der in der zweiten oder dritten Liga spielt.

„Der Einwilligende muss die Logik des Algorithmus verstehen“

Zwischen dem Speichern von Sprintzeiten und Herzfrequenzen würden Sie aber ja wahrscheinlich unterscheiden. Welches sind denn für Sie die sensibelsten Daten?

Besonders schützenswert sind Gesundheitsdaten. Aus dem Gesundheitssektor kennen wir Algorithmen, die aus diesen Daten Krankheitsrisiken ermitteln. Diese Sportlerdaten dürfte deshalb auf keinen Fall eine Krankenversicherung zu sehen bekommen.

Aber zumindest den Kampf gegen Doping macht die Digitalisierung doch einfacher. Es gibt eine Datenbank, in die Sportler ihre Aufenthaltsorte eintragen müssen. Und aktuell erprobt ein Exleistungssportler ein System, das Sportler tracken kann.

Im Antidopingkampf insgesamt spielen die Grundrechte der Sportlerinnen und Sportler leider nur eine untergeordnete Rolle. Aus Datenschutzperspektive haben wir uns deshalb gegen einige Aspekte des nationalen Anti­doping­gesetzes von 2015 in Deutschland ausgesprochen. Wenn jetzt mit Tracking eine neue Methode angewandt wird, würde ich mir auch dafür eine neue gesetzliche Grundlage wünschen – denn das geltende Antidopinggesetz gibt diese Praxis nicht her. Auf den ersten Blick erscheint es so, dass es viel schlimmer ist, Blut- und Urinwerte zu speichern, als die Betreffenden zu tracken. Aber eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung – und darauf liefe es hinaus – ist nicht unbedingt ein geringerer Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung als die Abgabe einer Urinprobe.

Kritiker würden sagen, dieser übertriebene Datenschutz sei eine typisch deutsche Angelegenheit. Würden Sie zustimmen?

Nein, die Diskussion über die informationelle Selbstbestimmung in Zeiten vermeintlich „smarter“ Big-Data-Anwendungen wird nicht nur hier geführt. Ab Ende Mai gilt EU-weit die Datenschutzgrundverordnung. Da wird für die Akteure, die global agieren – dazu gehört der Sport – ein Standard gesetzt, hinter den man nicht zurückgehen sollte. Ich finde das ermutigend.