piwik no script img

Konkrete Utopie

Während die Vonovia ihre Schlichtbauten in der Reihersiedlung verfallen lässt, planen Studierende hier ein Quartier mit integrativen Konzepten – eine Ausstellung zeigt die Ergebnisse

Einfach, aber bezahlbar und damit Schutz vor Obdachlosigkeit: die Häuser der Reihersiedlung Foto: Jan Zier

Von Jan Zier

Die Zukunft der Schlichtbauten in der Reihersiedlung in Oslebshausen ist nach wie vor ungeklärt. Dabei ist es ein Jahr her, seit die Verhandlungen mit dem Verein „Wohnungshilfe“ zur Rettung der Häuser gescheitert sind. Doch der Wohnungsbaukonzern Vonovia, dem die Siedlung gehört, lässt sich Zeit. Nun haben zehn studentische Teams der Jade-Hochschule aus Oldenburg städtebauliche Entwürfe zur Zukunft der Reihersiedlung vorgelegt. Anstoß dazu gab die Berichterstattung des Bremer Straßenmagazins Zeitschrift der Straße. Jetzt sind die Entwürfe in der Stadtbibliothek West in Gröpelingen ausgestellt.

Die Vonovia wolle sich langfristig von der Reihersiedlung trennen, versichert ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage. Man sei „im Gespräch“ und führe Verhandlungen, habe aber „noch keinen passenden Partner“ gefunden, heißt es. Der Konzern kümmert sich zunächst um seine beiden anderen Schlichtbau-Siedlungen in Bremen, die lukrativeren Neubauten weichen müssen. Ein Abriss der Reihersiedlung sei derzeit nicht geplant, so die Vonovia, weitere Zuzüge aber auch nicht. Und eine Sanierung ist aus ihrer Sicht „wirtschaftlich nicht darstellbar“ – sprich: unrentabel.

In der Reihersiedlung gab es ursprünglich 52 Wohnungen, ein Großteil steht mittlerweile leer. Wer hier lebt, hat nur einen Holzofen, dafür zahlt er für knapp 40 Quadratmeter aber auch nur ein Kaltmiete von 170 Euro. Einst als Übergangslösung gedacht, schützen die Schlichthäuser heute viele ihrer BewohnerInnen vor Obdachlosigkeit. Im vergangenen April hatte die Zeitschrift der Straßeder Reihersiedlung eine eigene Ausgabe gewidmet.

„Es geht nicht darum, Lösungen zu finden“, sagt Hartmut Stechow, Professor für Städtebau an der Jade-Hochschule, der für seine Architektur-Studierenden im 5. Semester einen professionellen Wettbewerb mit Fachjury und Preisen organisiert hatte. Er will mit ihnen realitätsnahe Ideen für soziale Stadtentwicklung ausarbeiten, die vor allem die Bedürfnisse der aktuellen BewohnerInnen der Reihersiedlung berücksichtigen.

Die meisten studentischen Entwürfe wollen jedenfalls einen Teil der bestehenden Häuser erhalten und Wohnungen nicht nur für die aktuellen BewohnerInnen, sondern auch für SeniorInnen, Studierende, Familien und Wohngemeinschaften bauen. Dazu gibt es stets allerlei Gemeinschaftsanlagen, mal mehr, mal weniger Grün, dazu Raum für Gewerbe – und oft sehr viel Parkplätze, obwohl kaum einer der derzeitigen BewohnerInnen ein Auto hat. In der Regel wird niedrig und flach gebaut, ein Entwurf plant eine „Wasserstadt“, denn: „Wer am Wasser lebt, ist glücklicher.“

Gewonnen hat den Wettbewerb ein Entwurf mit 44 Wohneinheiten in „ortstypischem Klinker“ – 28 Einzelappartements mit je 42 Quadratmetern, dazu acht Häuser für WGs, die doppelt so groß sind sowie für Familien, die vier Mal so groß sind. Es gibt verkehrsberuhigte Bereiche und etwas Platz für Gewerbe – Werkstätten, einzelne Büros, Werkstätten. Auf Platz zwei rangiert das Konzept „Gemeinschaft durch Grün“, das neben 56 Wohnungen für unterschiedliches Klientel auch Gewächshäuser, Gemüsebeete und Obstgärten für die Selbstversorgung vorsieht, aber auch einen Grillplatz, Outdoor-Fitnessanlagen und ein selbst organisiertes Café. Auch hier bliebe ein Teil der derzeitigen Schlichtbauten bestehen.

Die BewohnerInnen finden ihreHäuser nichtmenschenunwürdig

„Die Menschen dort haben keine hohen Ansprüche“, sagt eine der Studentinnen, „aber sie fühlen sich nicht als Teil der Gemeinschaft.“ Mit Hilfe von besserer Infrastruktur wollen die Studierenden die aktuellen BewohnerInnen integrieren, aber auch neue anlocken.

Mit zur Jury gehörte auch der Bau-Unternehmer Thomas Stefes, der die Reihersiedlung selbst „komplett sanieren“ wollte, wie er sagt. Es sollte „keine Luxussanierung“ werden, aber die Häuser energetisch und bauphysikalisch „auf die Höhe der Zeit“ bringen, wie er erklärt. Er kalkulierte nach eigenen Angaben mit Mieten von fünf bis sechs Eure pro Quadratmeter. Das ist zumindest weniger als jene 6,50 Euro, die üblicherweise für Sozialwohnungen gelten. Seine Idee, sagt Stefes, sei aber am Widerstand der Vonovia gescheitert.

Die Nachbarn aus der Tucholskystrasse haben sich unterdessen in einem offenen Brief zu Wort gemeldet – sie wollen die „zum Teil menschenunwürdigen Unterbringungszustände“ in der Reihersiedlung beendet sehen. Eine Sanierung der Schlichtbauten macht aus ihrer Sicht indes „keinen Sinn“, und das sahen in der Vergangenheit auch die meisten Politikerinnen in Bremen so. Wobei die BewohnerInnen selbst ihre Häuser durchaus nicht menschenunwürdig finden, wie die Zeitschrift der Straße herausfand.

Bis 28. Februar in der Stadtbibliothek West, Lindenhofstraße 53

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen