Kritik an Straftatbestand Schwarzfahren: Mit der Bahn in den Knast
In Hamburg werden wieder mehr Schwarzfahrer registriert. Juristen wollen das Fahren ohne Ticket nicht länger als Straftat werten.
HAMBURG taz | Die Zahl der Schwarzfahrer im öffentlichen Nahverkehr ist in Hamburg erstmals seit sechs Jahren wieder gestiegen. So waren rund viereinhalb Prozent der Fahrgäste des Hamburger Verkehrsbundes (HVV) 2017 ohne gültigen Fahrschein unterwegs. Das geht aus einer aktuellen Antwort des rot-grünen Senats auf eine schriftliche kleine Anfrage des Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Thering (CDU) hervor.
Ebenfalls aktuell ist die Debatte, ob das Delikt weiter als straffällige Handlung verfolgt werden sollte. Kritiker wie Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, treten dafür ein, das Schwarzfahren aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und das Vergehen fortan als Ordnungswidrigkeit verurteilen – nicht zuletzt, um die Justiz zu entlasten.
Auch Heike Sudmann, Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete und Verkehrsexpertin der Linken, macht sich für die Streichung stark: „Wir fordern das schon länger. Das bestehende Gesetz macht Menschen, die nicht nur aus Bock ohne Ticket fahren, zu vorbestraften Menschen.“ Sudmann kann sich dabei auch die „fahrscheinfreie“, also die kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs vorstellen.
Kontrolleure bangen um ihre Eingriffsrechte
Noch aber wird fahrscheinlose Fahren nach Paragraf 265a Strafgesetzbuch (StGB) geahndet und bei Erstverstoß mit 60 Euro – das sogenannten erhöhten Beförderungsentgelt – sanktioniert. Bei dreimaligem Erwischtwerden kommt es dann zur Gerichtsverhandlung. Für den HVV-Sprecher Rainer Vohl ist der Straftatbestand ein wichtiges Instrument mit „Abschreckungspotenzial“: „Geldstrafen allein reichen nicht.“ Es müsse weiterhin die Möglichkeit geben, Anzeige zu erstatten und die Personalien aufzunehmen.
Insbesondere der letzte Punkt ist wichtig. Würde das fahrscheinlose Fahren im öffentlichen Nahverkehr nur noch als Ordnungwidrigkeit begriffen, dürften die Bahnkontrolleure keine Personen mehr festhalten. Nach dem sogenannten Jedermannsrecht in der Strafprozessordnung darf eine vorläufige Festnahme von jedermann durchführt werden, der andere auf frischer Tat bei strafrechtlich relevanten Handlungen ertappt. Wäre das Schwarzfahren nicht mehr strafbar im Sinne des StGB, hätten Kontrolleure sprichwörtlich wie rechtlich keine Handhabe mehr.
Gegenwärtig aber kann die Verurteilung von Schwarzfahrern nach dem StGB durchaus sonderbare Blüten treiben. Personen, die das erhöhte Beförderungsentgelt nicht zahlen können oder wollen, müssen in manchen Fällen gar eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Wie viele Menschen 2017 in Hamburg eine solche Strafe wegen Schwarzfahrens verbüßen mussten, ist nicht bekannt. Janina Fein, eine Sprecherin der Hamburger Justizbehörde, vertröstet hier auf wärmere Tage: „Die Zahlen werden im Frühjahr 2018 bekannt gegeben.“
Bekannt hingegen sind jetzt die Zahlen des HVV. Durch Schwarzfahrer verliere der Verkehrsbund jährlich 20 Millionen Euro. In einem „Prüfmarathon“, einer Großkontrolle vom letzten Jahr, wurden zudem weiße und schwarze Schafe unter den Hamburger Stadtteilen ermittelt. Dabei wurde eines klar: Schwarzfahren hat auch etwas mit sozialem Gefälle zu tun: mit 1,8 Prozent hatte Blankenese die wenigsten, Harburg mit 5,4 Prozent die meisten Schwarzfahrer.
Leser*innenkommentare
Nordlicht
Das wird auch Zeit, dass die Kriminalisierung des Schwarzfahrens endlich aufhört. Wenn man die Sache mal ehrlich betrachtet, hinterzieht der Fahrgast ohne Fahrschein einen Wert von ca. 3,00 EUR. Ein Autofahrer, der ohne Parkschein (schwarz) parkt, hinterzieht einen ähnlichen Betrag, zahlt aber nur ein Verwarnungsgeld von 10-15 EUR. Der Schwarzfahrer hingene 60,00 EUR. Schon dies zeigt die Unverhältnismäßigkeit. Zudem kann ein Schwarzparker unendlich oft falsch parken - er wird niemals angezeigt oder gar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Anders als Schwarzfahrer, die mit trafanzeigen rechnen müssen, wenn sie 3 mal nacheinander erwischt wurden. Das ganze System ist ungerecht, weil bei vergleichbarem Schaden der Autofahrer vergleichen mit dem Fahrgast nur mit Samthandschuhen angefasst wird.