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Ein Besuch im AntiquariatEin Paradies aus Büchern

Immer mehr Antiquariate schließen. Doch Harald Hentrich in seinem Antiquariat Hennwack in Steglitz – wahrscheinlich das größte in der Stadt – trotzt dem Trend.

Harald Hentrich in seinem Bücherreich, dem Antiquariat Hennwack in Steglitz Foto: Wolfgang Borrs

Als das Internet aufkam, herrschte bei den Antiquaren zunächst Freude. Denn damit ließen sich die Bücher weltweit anbieten, zudem sparten sie fortan kostspielige Kataloge. Nun heißt es aber: „Der Antiquariats-Buchhandel befindet sich in einer Krise“, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schreibt: „Genauer gesagt sind es zwei: eine konjunkturelle und eine strukturelle. In einer konjunkturellen Krise mag es noch Sinn ergeben, sich im Einkaufsverhalten antizyklisch zu verhalten, weil spätestens nach der Krise die Nachfrage wieder steigt. Aber was tun bei einer strukturellen Krise, in der ganze Absatzmärkte weggebrochen sind, Sammelgebiete regelrecht veröden und neue Sammler kaum noch nachwachsen?“

Der Börsenverein weiß auch keinen Rat, während ein Antiquar nach dem anderen aufgibt. Zum einen fielen die Preise für Bücher ins Bodenlose und zum anderen kaufen die Leute immer weniger Bücher. Hinzu kommen Billig­antiquariate, die alle Bücher für einen Euro anbieten, und „Büchertische“, deren Angestellten das Arbeitsamt die Gehälter zahlt.

Ich frage den Antiquariatsbesitzer Harald Hentrich: Wie wird man Antiquar und was macht man in dieser Situation? Ein Gespür für interessante, manchmal riskante Aufkäufe entwickeln, so scheint es. Und die Vielfalt des Angebots in seinem Antiquariat Hennwack in Steglitz ist bestimmt hilfreich. Es ist das wahrscheinlich größte Antiquariat Berlins, im Namen lebt auch der seines Partners Holger Wackershausen, der noch vor der Eröffnung starb, fort.

Schon mit 15 Jahren besuchte der heute 51-jährige Harald Hentrich jede Woche den alten baltischen Antiquar am Bahnhof Lichterfelde-West und las sich – angefangen mit Camus, Ionesco, Böll und Lenz – durch die Weltliteratur bis zurück zu Grimmelshausen.

Jüdische Geschichte

Sein Großvater besaß eine Druckerei in Steglitz, wo er nach dem Krieg unter anderem das Mitteilungsblatt FU-Spiegel druckte. Das Geschäft wurde dann von seinem Vater und seinem Onkel übernommen, die noch zwei Verlage gründeten: die Edition Hentrich und Hentrich & Hentrich. Schwerpunkt von beiden Verlagen war die jüdische Geschichte – und ist es immer noch. Seit 2012, als der Vater starb, allerdings in anderem Besitz.

Sein Sohn hatte sich unterdessen, nach einem Politologiestudium, 1980 mit einem Antiquariat in Schöneberg selbstständig gemacht. Das Geschäft verkaufte er 1990 wieder, um im brandenburgischen Teetz bei Kyritz einen Kulturgasthof mit Antiquariat und Verlag zu eröffnen.

Zehn Jahre später zog er wieder zurück nach Steglitz, in die Albrechtstraße 111, wo er für seine 400.000 Bücher eine große Halle anmieten konnte. Drei Mitarbeiter sind im Antiquariat Hennwack beschäftigt.

Billig geht immer! Aber ist das auch immer gut? Foto: dpa

In Steglitz hat Harald Hentrich ein bildungsbürgerliches Publikum. „Ich habe versucht, alles dazuhaben: Arbeiterbewegung, Sozialismus, Anarchismus, Islam, Buddhismus, Naturwissenschaft und so weiter.“ Das steht alles gut sortiert in langen Regalreihen, viel Belletristik ist natürlich auch dabei.

Aus dem 16. Jahrhundert

Im ersten Stock stehen die interessanten Bücher: „Teilweise aus dem 16. Jahrhundert noch, zum Beispiel über die Folter der Heiligen, mit Holzschnitten.“ Von Erben erwarb Hentrich den Nachlass eines Sammlers erotischer Literatur („viel über Flagellantismus“). Ferner die Nachlassbibliothek eines Mittelalter-Historikers („6.000 Bände in vielen Sprachen“). Dann den Nachlass eines Byzantinistik-Professors: Bücher über das frühe Christentum, ebenfalls in mehreren Sprachen („die habe ich in die ganze Welt verkauft“). Und jüngst, ebenfalls aus einem Nachlass: Aktenkonvolute zur Geschichte der Besetzung Hessens durch Napoleon und die sich daraus ergebenden Briefwechsel zwischen der alten und der neuen Obrigkeit.

Der Nachlass eines Bildhauers, den Harald Hentrich aufkaufte, bestand nicht nur aus dessen Bibliothek, sondern auch aus seinen privaten Fotoalben, Entwürfen und Zeichnungen von Kollegen. Aufgekauft hat er auch „Spuckis“ (Klebezettel) von Freikorps-Verbänden, Keramikverschlüsse von Bierflaschen, ein paar hundert Lesezeichen und Spitzenschnitte, die man als Schmuckrahmen für Fotos verwendete.

In einem Zeichnungsschrank liegen neben alten Fotos Chromolithografien und handkolorierte Kupferstiche: „Die kosten ein paar hundert Euro das Stück.“

Wenn man ganze Privatbibliotheken aufkauft, sind meist auch wertlose Bestseller dabei. Diese verkauft Hentrich bananenkistenweise für fünf bis zehn Euro an Hotels, Möbelhäuser und Filmausstatter. Das Gegenteil sind die Erstausgaben, die jedoch seltsamerweise keine Relevanz mehr haben, jedenfalls in Deutschland: „Expressionisten zum Beispiel“, sagt der Antiquar, „die kosteten früher 100 Euro, jetzt 20, Ähnliches gilt auch für Arno Schmidt und Ernst Jünger. Eine Ausnahme ist die Erstausgabe vom ‚Kapital‘, für die alleine 600.000 Euro bezahlt werden.“

Der Börsenverein weiß keinen Rat, währendein Antiquar nachdem anderen aufgibt

Von Marx bis Lenin verkauft sich gut

Aber ansonsten gelte: „Die Sammler sterben weg. Wir reagieren darauf, indem wir immer weiter zurückgehen und Bücher ab dem 16. Jahrhundert suchen – mit Illustrationen, Kupferstichen, Hohlschnitten … etwa ein chinesisches Album mit 500 Miniaturen, handgemalt auf Reispapier – für 7.000 Euro.“

Natürlich offeriert das Antiquariat Hennwack seine Bücher auch auf einer eigenen Homepage, daneben kann man sie über Internetanbieter wie ­Abebooks, Amazon und Book­looker bestellen. „Ohne die Einnahmen aus dem Online-Verkauf“, so Hentrich, „könnten wir unser Antiquariat nicht halten.“ Von dem, was in Steglitz direkt über den Verkaufstisch geht, erwähnt eine Mitarbeiterin, „dass alles von Marx bis Lenin wie nie zuvor gekauft wird, auch Kropotkin ist restlos ausverkauft“.

Nach dem Tod des DDR-Historikers Jürgen Kuczynski 1997 wurde Harald Hentrich dessen riesige Bibliothek angeboten – für einige Millionen Euro: „Die hätte ich auch zusammenbekommen, aber seine Sammlung sollte nicht auseinandergerissen werden.“ Sie ging dann an die Landesbibliothek.

Anders war es beim Nachlass des Leiters des Ministeriums für Staatssicherheit, Ernst Wollweber, den seine in Köpenick lebende Witwe verkaufte – vor allem Marine-Bücher. Wollweber hatte am Kieler Matrosenaufstand teilgenommen und danach in verschiedenen Funktionen Seeleute-, Hafenarbeiter- und Binnenschiffer-Aufstände organisiert. In seinem Nachlass befanden sich Briefe der berüchtigten DDR-Richterin Hilde Benjamin sowie des kommunistischen Schriftstellers Otto Gotsche. „Das habe ich alles einzeln über Kataloge verkauft“, sagt Hentrich, „auch manch andere Sammlung habe ich aufgelöst.“

Eine Bibliothek im Jahr reicht

Die teuerste Sammlung stammte von einem Zehlendorfer Antiquar, Elßmer, für sie musste er 60.000 Euro zahlen. „Eine gute Bibliothek im Jahr reicht mir“, meint er. In der Regel zahle er 20 Prozent vom Schätzpreis. Für Kirchen, Banken und Erbengemeinschaften erstellt Hentrich gelegentlich Sammlungsgutachten.

Als ich erwähne, dass ich jemanden kenne, der ihm eventuell seine komplette Donald-Duck-Sammlung – in Leder gebunden und mit Goldprägung – verkaufen würde, sagt er: „Das ist wertmindernd bei Heften.“

Erwähnt sei, dass es neben den vielen Klagen in den alten und neuen Medien über die wirtschaftliche Situation der Antiquariate auch viele Beiträge über das Glück gibt, das man dort haben kann: also die „Freude beim Stöbern“. Eine Mitarbeiterin bei Hennwack erwähnt einen schwäbischen Handwerker, der 800 Euro für Barlach-Literatur ausgab, und einen Berliner Porzellanmaler, „der bei uns alte Aquarelle oder Kupferstiche von Blumen kauft. Andere Handwerker wollen was über alte Techniken mit Holz wissen. Ein Mann, der Jahrzehnte in Karstadts Tierabteilung gearbeitet hat, kauft die teuersten Bücher mit Chromolithografien aus dem 19. Jahrhundert über Papageien und Brieftauben. Er erwarb auch einen Band über Stubenvögel, Falken und Hühner. Die Bücher waren unglaublich teuer, es war, als ob der Mann sich ein kleines Paradies zusammengekauft hat.“

Dann, erzählt die Mitarbeiterin, „ist da noch ein Schlachter, der Jahrzehnte in der Schweiz gearbeitet hat, er kauft kiloweise Bücher über Tiere. Weil er, wie er mir anvertraute, in seinem Leben so viele Tiere getötet hat, er könnte sie gar nicht zählen. Er hat ein großes Regal gebaut nur für seine Tierbücher. Kafkas Großvater war auch Schlachter, und Kafka begründete seinen Vegetarismus damit, dass er das wiedergutmachen muss, was sein Großvater alles abgeschlachtet hat.“

Im Laden kann man sich außerdem an zwei mongolische Künstler aus Ulan-Bator erinnern, die eine ganze Kunstbibliothek für zu Hause erwarben. Und dann sind da auch noch die Chinesen: „Sie kaufen sehr gründlich, je nachdem, was sie interessant finden. Aber sie sind vorsichtig mit dem Geld.“ Erst kürzlich, erzählt die Mitarbeiterin, kaufte eine Gruppe von Chinesen alles über die Seidenstraße. „Sie sind einfach sehr wissenschaftlich und systematisch. Die Koreaner auch. Und dann posten sie Fotos vom Laden in den Social Media.“

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