Petition der Woche: Tatort Pimmelstraße
In einem Vorort von Birmingham soll ein altehrwürdiger Weg demnächst anders heißen, weil er plötzlich anstößig klingt.
England, Heimstatt von Rittern, Barden und KönigInnen. Wo jede Wiese die Knochen alter Schlachten birgt, Steinkreise und Eichen noch von Hexen und Druiden flüstern, jede Straße von den Taten vergangener Generationen singt – hier soll eine Straße in Zukunft nun bitte schön etwas leiser singen: Die Straße „Bell End“, in einem Vorort Birminghams, könnte ihren stolzen Namen verlieren, wenn eine lokale Initiative ihren Willen durchsetzen kann.
Für viele bedeutet die Straße ein Stück lokale Geschichte; sie erinnert wohl an eine früher dort bestehende Mine namens „Bell“. In umgangssprachlicher Verwendung bezeichnet „bell end“ jedoch vor allem dasjenige Ende des männlichen Genitals, das (nach dem Entblößen der Vorhaut) einer Glocke am ähnlichsten sieht. Und während es in Deutschland unüblich ist, jemanden als „Eichel“ zu beschimpfen, wird „bell end“ in England genau zu diesem Zweck verwendet.
Kinder sollen wegen des Namens ihrer Straße gehänselt worden sein, weswegen sich die InitiatorInnen der Petition nun an die Bezirksverwaltung von Sandwell Borough gewendet haben. Einhundert UnterstützerInnen hatten sich bis Redaktionsschluss für die Namensänderung, möglicherweise in „Bells Road“, gefunden.
Aber England ist ein traditionsbewusstes Land: Die Pro-Bell-End-Aktivistin Linda George führt an, dass bereits ihr vor Ypern gefallener Großvater im Bell End gelebt hätte. Den Vorschlag der Namensänderung empfindet sie als „zutiefst beleidigend“. Und sie löste damit eine enorme Resonanz aus: Fast 5.000 Unterschriften kamen für den Erhalt des Namens zusammen. Nun wird sich die Bezirksverwaltung mit den Petitionen befassen.
Es geht auch um Geld: Laut einer Studie, die der Statistiker Geoff Ellis im Auftrag einer Immobilienwebsite durchführte, sind Häuser an Straßen mit anstößigem Namen deutlich weniger wert – rund ein Drittel im Fall von Bell End.
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Der Kampf um die Erinnerung wird auch in Deutschland geführt, unanständige Namen sind hier aber das kleinere Problem. Der Immobilienmakler Christian Coors aus einem Darmstädter Vorort zeigt sich gelassen: „Nur zwei junge Paare haben deswegen mal das Interesse verloren. Für alle, die von hier kommen, ist Wixhausen ein ganz normaler Name.“ Auch in der Dortmunder Busenbergstraße, an der der Spannerweg abgeht, lässt sich kein Preisnachteil gegenüber vergleichbaren Wohnlagen feststellen. Glück hat dagegen, wer ein Haus am Landsträßchen „Geil“ bei Flensburg hat. „Wer da wohnt, verkauft sein Haus nicht“, erklärt Immobilienmakler Thomas Jepsen. Das Ackerland dort sei nämlich hervorragend.
Anstößiger scheinen hierzulande solche Straßennamen zu sein, hinter denen Persönlichkeiten mit zweifelhaften Verdiensten um Menschenrechte und Demokratie stehen. Eine Berliner Initiative will zum Beispiel die Konrad-Adenauer-Straße in Wolfgang-Lauinger-Straße umbenennen. Lauinger saß noch in den 1950er Jahren wegen seiner Homosexualität in Haft – aufgrund von Gesetzen, für deren Beibehalt sich Adenauer persönlich eingesetzt hatte.
Und gäbe es nicht auch für den zukünftigen Standort der taz, für die Berliner Friedrichstraße mit ihrem reaktionären Bezug auf männliche, weiße Herrschaftsformen, einen besseren Namen? Irgendwas mit „Pimmel“ vielleicht? Oder vielleicht jemanden ohne?
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