Studierende über ihre NSU-Erkenntnisse: „Opferperspektive vernachlässigt“
Studierende des Bremer Masterstudiengangs „Transkulturelle Studien“ forschen zum NSU-Komplex und geben ihr Wissen an der Hochschule weiter.
taz: Frau Bıyıklı, nächste Woche findet die Podiumsdiskussion „Der NSU-Komplex, Rassismus und gesellschaftliche Verantwortung“ statt. Vorangegangen dazu war ein Lehrforschungsprojekt an der Uni Bremen. Was ist das für ein Projekt?
Tuğba Bıyıklı: Ursprünglich geht das Projekt darauf zurück, dass am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaften eine Exkursion zum „NSU-Tribunal“ in Köln angeboten wurde. Teilgenommen haben Studierende, die alle einen unterschiedlichen wissenschaftlichen Background haben. Ich komme aus der Pädagogik, andere etwa aus der Politikwissenschaft. Das heißt, wir hatten ganz unterschiedliche Fragen und Perspektiven auf die Veranstaltung, bei der wir dann Feldforschung betrieben haben. Manche haben dazu geforscht, wie eigentlich die Medienberichterstattung zum NSU ist, ich habe mich damit auseinandergesetzt, wer bei dem Thema spricht. Also zum Beispiel, ob auch die Opferperspektive Raum für Äußerungen bekommt.
Sie haben als Master-Studierende aber auch selbst in diesem Rahmen Ihr Wissen an Bachelor-Studierende weitergegeben, oder?
Wenn man sich so mit dieser Thematik beschäftigt und reflektiert, will man das Wissen weitertransportieren. Daraus entstand letztes Jahr ein harter Kern, der das Wissen, das wir gewonnen haben, auch als Multiplikator weitertragen wollte. Dass wir als Studierende auch selber Lehre betreiben können und Bachelor-Studierende an das Thema heranführen, ist natürlich großartig. Vor allem sind wir der Meinung, dass noch in vielen Bereichen der Gesellschaft eine Sensibilisierung und ein tieferes Verständnis über die Bedeutung des NSU fehlt.
Was genau fehlt da?
31, studiert an der Uni Bremen „Transkulturelle Studien“. Gemeinsam mit dem DGB veranstalten Studierende die Podiumsdiskussion „Der NSU-Komplex, Rassismus und gesellschaftliche Verantwortung“ am 16. Januar um 19 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen.
Ob nun im NSU-Prozess oder in der öffentlichen Debatte, nicht zuletzt aber auch im Wissenschaftsdiskurs, wird die Opferperspektive eher am Rand beleuchtet. Sowohl im Prozess als auch in der Öffentlichkeit versuchen die Hinterbliebenen und Opfer aber, diese passive Rolle abzustreifen und Forderungen nach Aufklärung aufzustellen. Das ist natürlich in einer weißen Mehrheitsgesellschaft schwierig. Mit unserem Projekt versuchen wir, das zu beleuchten, was öffentlich vernachlässigt wurde. Dazu zählt auch migrantisch situiertes Wissen.
Was meinen Sie mit migrantisch situiertem Wissen?
Die Exkursion zum NSU-Tribunal lief am Institut im Rahmen des Semesterschwerpunktes „Dekolonialisierung des Wissens“. Auch in der Wissenschaft wurde und wird Wissen in großen Teilen von Weißen hervorgebracht und gedeutet. Beim NSU haben die Opfer nach den Taten die Polizei auf Täter im rechten Spektrum aufmerksam gemacht. Stattdessen wurden die Taten als „Dönermorde“ bezeichnet, aufgrund angeblicher mafiöser Strukturen. MigrantInnen haben ein eigenes Wissen, dass auch von erlebtem Rassismus geprägt ist, und auch das benötigt eine Stimme in der Gesellschaft. Wer niemals Rassismus erfahren hat, meint vielleicht, dass es in dieser Gesellschaft gar keinen gebe.
Die Podiumsdiskussion soll auch die gesellschaftliche Verantwortung für den Umgang mit den Taten nach dem Bekanntwerden des NSU beleuchten. Wie sieht diese Verantwortung aus
Zunächst muss klar sein, dass auch die gesellschaftlichen Strukturen den NSU und seine Morde erst möglich gemacht haben. Es geht deshalb um das Erinnern und auch das Gedenken daran. Vermutlich kennen fast alle Menschen in Deutschland die Namen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Aber wie sieht es mit den Namen der Opfer aus? Deshalb wollen wir mit der Veranstaltung zum Beispiel auch etwa Osaman Taşköprü als Betroffenen ein Podium bieten.
Macht eine intensive Beschäftigung mit den Taten des NSU und der Aufarbeitung nicht ziemlich fassungslos?
Natürlich verhandelt auch der NSU-Prozess nicht alle Bereiche, aber die Hoffnung ist ja, möglichst viele Menschen damit zu konfrontieren und das schon bestehende Netzwerk, ob nun in Wissenschaft oder als gesellschaftlicher Aktivismus, weiter auszubauen.
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