: Lichter und Trichter
Die drei Performer der Gruppe FUX entdecken das Granteln und den Gesang als kollektive Protestform wieder und knüpfen dabei im HAU an das Pariser Jahrmarkttheater und Agitprop an
Von Tom Mustroph
Meckern ist der erste Schritt zum Protest. Es ist nicht die kultivierteste Form, Dissenz auszudrücken. Im verächtlichen Hinwegsprechen der eigenen Enttäuschung liegt bereits ein gehöriges Maß an Resignation. Wer meckert, glaubt kaum noch an Veränderung und hat sich eingerichtet in den Zuständen. Wie der Berliner: Der schimpft zwar über Flughafen und Schlossattrappe, sieht dem Milliardenversenken aber recht teilnahmslos zu. Selbst der Focus-Redaktion ist der Zusammenhang schon einmal aufgefallen: „Meckern statt Umstürzen. Warum gibt es in Berlin keine Revolution?“, war 2016 ein Podcast zu hauptstädtischen Befindlichkeiten überschrieben.
Die Performancegruppe FUX hat sich in Gießen kennengelernt, bei den Angewandten Theaterwissenschaften, die schon viele Gruppen auf den Weg gebracht hat. Schlauerweise hat FUX, obgleich Nele Stühler, eines der Gründungsmitglieder, aus Berlin stammt, keine „Meckeroper“ konzipiert. FUX, zwei Mal bereits von theater heute zu den besten Nachwuchskünstlern gekürt (2014 und 2016) und seitdem vor allem in südlichen Gefilden des deutschsprachigen Raums unterwegs, spricht von der „Wiederentdeckung der Granteloper“. Granteln ist Wienerisch und schärfer als das Berliner Meckern.
Als ausgebildete Diskurs-Cracks – das Markenzeichen der Gießener Theaterschmiede schlechthin – kreiert FUX für sein neues Werk gleich eine ganze Subform der Oper. Sie gräbt munter fabulierend die französische Volksoper – entstanden auf den Jahrmärkten von Saint-Germain und Saint-Laurent – als Frühform der Granteloper aus. Die drei Performer, die sich mit den Vornamen der FUX-Gründer Nele, Falk & Stephen ansprechen, sie aber nicht sind – hübsche kleine Identitätsverwirrung –, wandern opernhistorisch zum Wiener Reformkomponisten Christoph Willibald Gluck: Da hätten wir also das Granteln, selbst wenn, was FUX verschweigt, Gluck von seiner einstigen Gesangsschülerin Marie Antoinette nach Paris geholt wurde. Die Königin, in deren Hals das Fallbeil der Französischen Revolution fuhr, hatte wenig im Sinn mit den eliten-kritischen Gesängen.
Das Trio ist dann endlich mittendrin im Lamentieren über Menschen als Verkehrshindernisse, Mängel in frisch erworbenen Produkten, Firmen mit schlechtem Kundendienst und über Angela Merkel, die auf Beschwerden eben nicht persönlich reagiert. Das Beleidigtsein wird in charmant akzentuierten Sprechgesang transformiert. Die Stimmen der drei Performer (Léonard Bertholet, Tino Kühn und Hannah Müller) mutieren zuweilen, etwa beim minimalistischen „Nein, nee, nö“-Gesang regelrecht zu Orgelpfeifen, können aber auch komplette bürokratische Korrespondenzen vertonen. Begleitet werden sie gelegentlich von einem in einer Muschel versteckten Musikertrio. Das wird, wenn es sich im Spielbetrieb befindet, von Lichterketten erleuchtet, wie auch die anderen Bühnenelemente. Da ist er dann wieder da, der Jahrmarkt.
Zum Finale wird ein gutes Dutzend Trichter auf die Bühne geholt – Botschaftsverstärker im Agitprop-Modus. Die eigentliche Mission, das Animieren des Publikums zum Mitsingen – klassisches Element des vorrevolutionären Jahrmarkttheaters an der Seine wie auch der revolutionären Arbeiterbewegung – geht am Premierenabend fehl. Die Berliner singen nicht mit. Sie granteln nicht und meckern allenfalls – gleich nachdem die Hände den länger anhaltenden Applaus eingestellt haben. Dennoch, ein apartes Format.
12., 13.1. 19 Uhr, HAU3
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