Martin Krauss Über Ball und die Welt: Wie viel Europa steckt in der Champions League? Das muss erforscht werden
Irgendetwas macht der Fußball mit uns. Das weiß man oder ahnt es zumindest. Entsprechend sinnvoll ist es, wenn Sozialwissenschaften das auch erforschen. „Der Identitätseffekt europäisierter Lebenswelten: Europäisch werden durch Fußball?“ lautet ein Projekt, für das die DFG ein hübsches Sümmchen Geld bereitstellt.
Es geht darum, teilen die Hochschule Rhein-Waal und die Uni Mainz mit, bei denen das Forschungsprojekt angesiedelt ist, herauszufinden, „ob und inwieweit die verstärkte Europäisierung von Spielermärkten, Wettbewerben und sportrechtlicher Regulation des Fußballs auch zu einem unterschwelligen Bewusstseinswandel seitens der Fans und prinzipiell Fußballinteressierten geführt hat“.
Schaffen also Champions League und EM eine Art europäisches Nationalbewusstsein? Die Forscher vermuten: ja. Die bisherige wissenschaftliche Beschäftigung mit europäischer Identität übersehe nämlich, dass „mehr als drei Viertel der Fußballfans und 61 Prozent der Europäerinnen und Europäer allgemein der Ansicht sind, Fußball verbinde Europa“.
Na dann. Aber vermutlich kann man schon die EM als mögliches Identitätsdingens sehr schnell ad acta legen: Da spielen Nationen gegeneinander, da nimmt das eine Vaterland dem anderen noch Jahre später übel, wenn es ein Tor aus Abseitsstellung gab. Und: Wenn eine EM ein europäisches Wir-Gefühl schaffen könnte, dann würde doch eine WM so etwas für die Welt produzieren. Doch davon hat man seit 1930, dem Jahr der ersten WM, nichts bemerkt. Ein europäisches Wirgefühl würde ja nur im gemeinsamen Jubeln oder Schimpfen mit einer Europaauswahl entstehen. Die gibt es aber im Fußball nicht, bloß im feinen Golfsport, wo man gar keine nationalistischen Eruptionen erwartet. Der Ryder Cup ist konstruiert als Turnier zwischen den USA und Europa, und da werden dann auch jeweils die Fähnchen geschwungen.
Der große europäische Fußballwettbewerb ist die Champions League. Und da bleibt die Frage, ob aus dieser sehr eigenen Liga der reichsten Vereine etwas erwachsen kann, zu dem man gerne „Wir“ sagt. Nun inszeniert sich die Champions League der Uefa ja mit ihrer schrecklich pathetischen Hymne auch gerne auf eine Weise, als ginge es um identitätsstiftende Weihen. Aber die Champions League ist nur das, was sich herausbildet, wenn nationale Märkte zu klein werden, und wenn der politisch-rechtliche Rahmen für die größer gewordenen Verwertungsbedürfnisse noch nicht geschaffen ist. Für eine einheitliche europäische Fußballliga, in der an jedem Wochenende Bayern München, der FC Barcelona oder Manchester City gegeneinander spielen, ist die Zeit noch nicht reif. Die Champions League ist eine Art Zwischenlösung.
Eine richtige Europaliga, die die Großklubs wollen, wäre das Ergebnis simpler Zentralisationsprozesse, die kapitalistische Konkurrenz immer produziert. Auf der Ebene der Identität bewirkt eine solche Liga dann entweder ein völlig irrationales Sichgemeinmachen mit einer Aktiengesellschaft, deren Kerngeschäft der Berufsfußball ist. Oder, nicht wesentlich netter, die Nation versammelt sich künftig hinter ihrem einen Vertreter.
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