Gewalt gegen Rettungskräfte: „Es muss was abgehen“
Lust an Gewalt und Gruppendynamiken sind der Grund für die Attacken auf Rettungskräfte in der Berliner Silvesternacht, sagt Konfliktforscher Andreas Zick.
taz: Herr Zick, in den Tagen nach der Silvesternacht wurde viel über gewalttätige Übergriffe auf Feuerwehr- und Polizeikräfte in Berlin berichtet. War dieses Silvester schlimmer als andere?
Andreas Zick: Ich habe auch festgestellt, dass viele Medien vor dem Hintergrund der Erinnerung an die Kölner Silvesternacht vor zwei Jahren ihren Filter eher auf das Thema Gewalt, auch gegen Sicherheits- und Einsatzkräfte, gestellt hatten. Zum Teil ist das verständlich, weil das Thema Sicherheit viel Aufmerksamkeit bekommt – und weil sich gute Nachrichten schlecht verkaufen lassen. Allerdings würde ich im Sinne eines kritischen Journalismus auch erwarten, dass die Sachlage genau dargestellt wird und Perspektiven unterschiedlicher Akteure zu Wort kommen.
Wie stellt sich denn die Sachlage mit einigen Tagen Abstand für Sie da? Sie forschen zum Thema Gewalt und haben mit Ihrem Team die Kölner Polizei beim Sicherheitskonzept für den Silvesterabend beraten.
Die Silvesternacht war, gemessen an dem, was in den Städten sonst am Wochenende los ist, sogar eher ruhig. Verglichen mit den Silvesternächten in den beiden vergangenen Jahren haben wir einen empirisch messbaren Rückgang der Gewalttaten. Das lässt sich nicht leugnen, auch wenn in den Netzwerken Einzelfälle verallgemeinert werden. Es gab vereinzelt sexuelle Belästigungen, aber das lässt sich nicht auf irgendeine Bevölkerungsgruppe bezogen verallgemeinern.
Es gibt also kein klares TäterInnenprofil – weder bei den sexuellen Übergriffen noch bei den Attacken auf Einsatzkräfte?
Genau. Und Täterprofile bringen auch wenig, denn es handelt sich in den meisten Fällen um Gruppengewalt und Eskalationsprozesse. Wir operieren nicht mit stereotypen Schubladen von Tätern, sondern versuchen zu erklären, welche Prozesse in welcher Zeit und in welchem Raum eskalieren. Das ermöglicht es, früh zu intervenieren. Dass junge Männer mit Migrationshintergrund sich in Gruppen sammeln, lässt noch keine Rückschlüsse zu. Dass Gangs versuchen, solche Events für Raub- und Diebstahl auszunutzen, ist eine andere kriminologische Frage. Das hat aber nichts mit Migration, sondern mit organisierter Kriminalität zu tun. Ich würde sehr dazu raten, die Diskussion über Migration und Kriminalität sorgfältiger zu führen. So einfach sind die Zusammenhänge nicht.
Politiker wie der Justizminister Heiko Maas (SPD) haben im Nachgang zur Berliner Silvesternacht vergangene Woche härtere Strafen für Angriffe auf Rettungskräfte gefordert und über einen drohenden „Werteverlust“ geklagt.
Die Sicherheitskräfte stellen sich schon im Vorfeld darauf ein, dass medial prominente Personen etwas skandalisieren werden. Wir haben also mit solchen Äußerungen gerechnet, und sie sind vorhersehbar. Allerdings brauchen wir weniger Kommentare als vielmehr eine gute Präventionsarbeit in den Kommunen.
Wieso hat man dieses Phänomen, dass immer wieder – nicht nur in der Silvesternacht – Rettungskräfte angegriffen werden?
Da gibt es zum einen Faktoren in der Situation selbst. Zum anderen spielen Faktoren eine Rolle, die bei den TäterInnen angelegt sind. Zu den Auslösern für Gewalt gehören aggressive und stressvolle Reize, wie zum Beispiel Böller in der Silvesternacht. Hinzu kommt die Erwartungshaltung: Es muss etwas Besonderes passieren, weil ja Silvester ist. Räumliche Enge, viele Menschen, die Anonymität in der Situation, in der dann Raketen und Böller abgeschossen werden, und andere Personen und Gruppen, die die Situation eskalieren lassen und wie Vorbilder wirken – all das ist in der Situation relevant. Auch fehlende Zivilcourage und die Wahrnehmung, dass andere auch nicht helfen oder es sogar cool finden, was gewaltorientierte Personen tun, sind solche Situationsfaktoren.
Und die soziopsychologischen Faktoren, von denen Sie sprachen, wenn man also die TäterInnen selbst in den Blick nimmt?
Das finden wir immer wieder: ein hohes Erregungsniveau – es ist Silvester, es muss was abgehen –, welches durch Alkohol und andere Drogen gesteigert wird. Dann gibt es Raketen und Böller zur Verfügung, mit denen man aggressiv umgehen kann. In Kleingruppen können sich die Normen von Einzelnen dann verschieben: Da spielen Spaß an Gewalt und der Thrill als Gruppe eine Rolle. Die gemeinsam geteilte Identität ist dann eher maßgeblich als individuelle Normen, Werte, Einstellungen. Es reicht also nicht, nach den persönlichen Motivationen zu fragen. Man muss verstehen, wie in Kleingruppen eine Dynamik entsteht.
Noch mal die Frage: Warum treffen diese Dynamiken auch immer wieder besonders die Rettungskräfte?
Da spielen Vorurteile und Stereotype eine Rolle: Jene, die angegriffen werden, werden unter Umständen gar nicht mehr als Menschen betrachtet. Das kommt dann in Begriffen wie „Bullenschweine“ zum Ausdruck. Negative Stereotype scheinen die Wahrnehmung zu regulieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland