: „Wir räumen auf in der Natur“
Und was macht eigentlich das Sturmtief „Xavier“, das im Herbst mehr als 50.000 Bäume in Berlin umgelegt oder beschädigt hat? Mit Wintersturmtief „Burglind“ die Verwandtschaft vorbeischicken
In Berlin sind die Ausläufer des Wintersturmtiefs „Burglind“ nur vereinzelt spürbar gewesen. Der Kern des Sturmtiefs erreichte – ganz im Gegensatz zum Herbststurmtief „Xavier“ (siehe nebenstehenden Text) die Hauptstadt nicht.
Auf andere Bundesländer traf „Burglind“ dagegen am Mittwoch mit Wucht. Umgestürzte Bäume und heftiger Regen behinderten etwa in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern den Verkehr. (dpa)
Interview Bert Schulz
taz: Xavier, dürfen wir Sie duzen? Sie sind uns schließlich recht nahe gekommen …
Xavier: Gerne. Machen Sie bloß kein Wind um belanglose Anreden.
Gerne. Du bist ja eigentlich ein Berliner Kind.
Stimmt. Mich hat das Meteorologische Institut der FU getauft. Jedes Jahr sucht es Wetterpaten für insgesamt rund 400 Hoch- und Tiefdruckgebiete, die für Mitteleuropa wichtig sind. Tiefs sind etwas billiger und kosten nur knapp 240 Euro – was wohl auch daran liegt, dass sie meist nach ein paar Tagen wieder weg sind. Hochs sind oft beständiger. Besonders glücklich war ich allerdings nicht über meinen Namen.
Es gibt da einen Sänger …
Habe ich gehört. Kein Wunder, dass mein Ruf schon im Vorfeld zweifelhaft war.
Am 5. Oktober 2017 hast du Berlin und den ganzen Nordosten Deutschlands ordentlich durchgepustet. Wer durch Berlin spaziert, sieht immer noch, was du angerichtet hast.
Stimmt, in den Parks und Wäldern habe ich mich richtig ausgetobt. Hier liegen immer noch Bäume am Boden. Die kommen wohl nicht hinterher mit dem Aufräumen. Typisch Berlin! Nichts klappt hier.
Du hast nach Zählungen der Senatsverwaltung für Umwelt mehr als 50.000 Bäume umgelegt oder beschädigt!
Ein bisschen tut mir das leid, das gebe ich ja zu. Auch, dass wegen mir in Deutschland sieben Menschen ums Leben kamen. Aber letztlich sind wir Stürme nicht sinnlos: Wir räumen auf in der Natur. Morsches, das nicht mehr taugt, wird abgerissen, weggeblasen, rausgefegt.
Du hast das Leben vieler Menschen bei deinem Auftritt durcheinander gewirbelt. Die Bahnverbindungen von und nach Berlin waren teilweise tagelang unterbrochen, Menschen mussten auf dem Hauptbahnhof in Zügen übernachten, weil sie hier festhingen.
Ach, die Deutsche Bahn! Sie hatte endlich mal ’ne glaubhafte Ausrede für ihre Verspätungen.
Die Bahn sagt, sie hätte sich auf dich wie auf andere Stürme „intensiv vorbereitet“: Präventiv würden rechts und links der Gleise mindestens sechs Meter freigeschniten, die Bäume an den Strecken würden regelmäßig inspiziert. Neue Bäume müssten Tiefwurzler sein, wie Eiche oder Blutahorn.
Jeder Sturm ist anders, sag ich da nur. Ich konnte immerhin in Norddeutschland Oberleitungen auf mehr als 60 Kilometer Strecke mitnehmen.
Die Feuerwehr war 70 Stunden lang im Ausnahmezustand. In Wäldern bestand noch Wochen danach Lebensgefahr durch herabfallende Äste.
Ich war halt einfach früh dran. Die meisten Herbststürme kommen ja etwas später, wenn die Bäume weniger Angriffsfläche bieten, weil sie weniger Laub tragen. So konnte ich nach Herzenslust wüten. Und was zurückbleibt, darum darf sich gerne die BSR kümmern.
Inzwischen sind vor allem die Mitarbeiter der Bezirke im Norden und Westen der Stadt im Einsatz. Die sind richtig sauer.
Mir hat jemand gehaucht, dass in Charlottenburg-Wilmersdorf die Aufräumarbeiten auch in Parks und selbst an den Straßenbäumen noch bis Ende 2018 dauern sollen. In der Zeit könnte man ja einen Flughafen fertig bauen!
Vielleicht wäre ein bisschen frischer Wind auf der Baustelle in Schönefeld tatsächlich gut.
Gut möglich, dass der bald kommt. Schon 2017 hat Berlin ja einige fiese Wetterlagen abbekommen. Die 48 Stunden Dauerregen erst im Mai, dann war im Juni mein Nachfolger, der Sturm „Herwart“, ja nicht ohne. Und auch Burglind war kein braves Burgfräulein (siehe Kasten).
Blöd nur, dass viele Schäden nicht ersetzt werden. Allein im Bezirk Mitte, der vergleichsweise wenig betroffen war, summierten sich die Schäden auf knapp zwei Millionen Euro.
Ich halte es da mit meinem Namensvetter, dem Sänger aus Mannheim: „Halte durch“ hat der mal geträllert, auf einer Platte die hieß: „Alles kann besser werden“.
Ich finde, wir sollten jetzt mal tief durchatmen, damit wir nicht auf dieses Niveau herabfallen.
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