piwik no script img

Das Licht wieder ausknipsen

„Spätis“, „Gruftis“ und „Graffitis“ sind ein Spezifikum der Berliner Nacht. Um die, aber nicht nur, geht es in der Ausstellung „Die Nacht“ im Museum für Kommunikation. Wo die Dunkelheit zum Thema wird

Wo Helligkeit und Dunkelheit in Bewegung sind: Junge Leute nachts im Prenzlauer Berg Foto: Foto: David Hornback

Von Helmut Höge

In Darmstadt fand eine Konferenz über die Nacht statt. Die Vorträge reichten von „Prome­theus“ – der den Menschen einst das Feuer brachte und ihnen damit ermöglichte, sich den Tag in die Nacht hinein zu verlängern – bis zur „Aufklärung“. Wenn man einigen Referenten glauben durfte, dann sind wir mittlerweile schon an dem Punkt angelangt, da ein Tag bruchlos in den anderen übergeht, an dem also die Nacht bereits vollständig kolonisiert ist.

Vielleicht vollendete also die „Aufklärung“ nur das prometheische Werk, als sie den Menschen zum Objekt der Erkenntnis machte, damit er zum Subjekt seiner eigenen Freiheit und Möglichkeiten werden könne. Prometheus wie die Aufkärer waren gewissermaßen Überbringer einer göttlichen Fähigkeit, sich selbst aus der Umnachtung zu befreien, einmal mittels Lagerfeuer, Kerze, Lampe und Halogenleuchte, dann aber auch mittels einer strahlenden Vernunft, einer klaren Begrifflichkeit, die von Parmenides bis zu Kant und darüber hinaus a priori vom Himmel fällt und uns zur Selbsterkenntnis befähigt.

Dunkelbirnen

300 Jahre nach dem aufklärerischen Impuls, oder besser: 2.400 Jahre nach den „ersten Philosophen“ und nachdem in den aufgeklärtesten Ländern auch noch die letzten Dörfer sich mittlerweile ihre Nächte illuminiert haben (die meisten mit Peitschenlampen – nach DIN-Vorschrift 5044), darf es nicht verwundern, wenn sich beim Thema „Nacht“ viele Referenten auf die Seite der „Dunkelheit“ schlugen, sozusagen „das Licht wieder ausknipsen“ wollten (wie die Befürworter der Kernenergie es ja schon immer befürchteten!), beziehungsweise an der Erfindung einer „Dunkelbirne“ (Daniel Düsentrieb, 1966) bastelten, bei der es dunkel wird, wenn man sie anknipst. Andere Referenten dagegen waren sich unsicher, ob man überhaupt noch die letzten Reste einer dunklen Archaik gegen die helle Moderne in Schutz nehmen könne, ohne dass daraus gleich ein nicht weniger unangenehmes „Zwielicht“ entstehe. Diese Darmstädter Diskussion über die Nacht fand 1982 statt (die taz berichtete).

2012 lud der Wiener Belvedere zu einer Ausstellung über das „Zwielicht“ ein. „Es geht um die Nacht außen und um die Nacht in uns“, erklärte Kuratorin Brigitte Borchhardt-Birbaumer damals der Presse. Zwei Jahre später stellten zwei französische Nachtforscherinnen in Detroit ihre vorläufigen Ergebnisse vor. Dort hatte zuvor der Clubbesitzer Dimitri Hegemann dem Bürgermeister der Stadt auf seine Frage „Wieso seid ihr in Berlin so erfolgreich?“ geraten: „Schaffen Sie die Polizeistunde ab, dann kommen die jungen Leute auch nach Detroit in Massen.“

Die erste Nachtforscherin hatte „Nachtbummler“ interviewt. Diese meinten, sie würden die totale Freiheit genießen, nachts durch Paris zu streifen. In Wirklichkeit bewegten sie sich jedoch in einem eng umgrenzten Bereich der Stadt. Bis auf eine junge Frau, die durch die Nacht trampte und sich von Männern mitnehmen ließ. Bevor ihr die Fahrten unheimlich wurden, stieg sie jedes Mal fluchtartig an einer Ampel aus.

Die zweite Nachtforscherin berichtete, dass die Beleuchtung der Dörfer das soziale Gefüge verändert habe: Die Trinker, deren Nachhauseweg nachts von der Kneipe weiterhin durchs Dunkel führte, galten fortan als seriös, während die Nicht-Trinker, die die beleuchtete Strecke nach Hause nahmen, bald als halbe Säufer abgetan wurden.

Adam Page und Eva Hertzsch organisierten 2015 mit einer englischen Künstlergruppe eine Ausstellung auf den Werbeflächen einiger Berliner U-Bahnhöfe: Dazu hatten die Künstler Leute interviewt, die nachts in der U-Bahn arbeiten, die man aber kaum jemals sieht: Diese „All-Nighter“ hatten sie dann gemalt und dazu einige Sätze aus deren Erzählungen zitiert.

Nach Berlin gelockt

… nachts am Bildschirm arbeiten, um Bankkonten zu hacken, Erpresserviren loszuschicken …

Jetzt, wieder zwei Jahre später, findet im Berliner Post-Museum für Kommunikation eine Ausstellung über die Nacht statt. Zwar beginnt sie bei den babylonischen Astrologien und den dunklen Gestalten der frühen Neuzeit mit dem dazugehörigen Grusel, aber zu großen Teilen ist sie dem wilden „Nachtleben“ der deutschen Hauptstadt gewidmet: Angefangen mit den mondänen Kabaretts der Zwanzigerjahre über die altmodische Prostituierten-Szene mit ihren Streetworkern bis zu den ganzen Partyclubs, Bands und Drogen, die so viele junge Leute aus der EU nach Berlin lockten, dass massenhaft neue Arbeitsplätze entstanden, um sie zu bedienen oder ihnen sonst wie das Geld aus der Tasche zu locken.

Hinzu kommen „Spätis“, „Gruftis“, „Graffitis“. Flankierend zur Ausstellung erschien eine Art Katalog: „Das Buch der Nächte“, in dem noch einmal das nächtliche Amüsement thematisiert wird – mit Kapiteln wie „Nachtvögel“, „Lange Nächte“, „Im Dunkeln auf Achse“. Daneben findet sich aber auch ein Text über „Nachts im Bett“ und einer vorm Fernseher – „Durch die Nacht mit Demian“ – sowie unter anderem Beiträge über die universitären „All-Nighter“.

Diese ganzen wissenschaftlich-künstlerischen Auseinandersetzungen mit der „Nacht“, die sich von Philosophie über Empirie bis zu Lokalhistorie und Ästhetik erstrecken, lassen eins vermissen: Die Mörder und Verbrecher, „das furchtbare Geschlecht der Nacht“ (Schiller). Diese Gestalten bleiben nach wie vor illegal und unthematisiert, obwohl sie wesentlich zu werden drohen.

Nur an einer kleinen Wand der Berliner Ausstellung wird es fast schamhaft angedeutet: mit Fotos von einigen Leuten, die nachts am Bildschirm arbeiten, um Bankkonten zu hacken, Erpresserviren loszuschicken, vermeintlich Verantwortliche verbal anzugreifen und sonst welche kriminellen Distanzdelikte zu begehen, oder auch bloß, um schmerzhafte Liebesgedichte ins Internet zu stellen – zur Musik von Chopins „Nocturne op.9 No.2“ maybe.

Die Ausstellung über „Die Nacht. Alles außer Schlaf“ ist im Museum für Kommunikation noch bis zum 18.2.2018 zu sehen. Leipziger Str. 16, 10117

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen