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Die Grenze, die keine ist

Warum die Grenze von Irland zu Nordirland ein Problem ist – und warum sie tatsächlich gar keines sein müsste

Von Dominic Johnson

Abstrakt ist die Sache klar: Wenn Großbritannien die EU verlässt, wird die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der unabhängigen Republik Irland eine EU-Außengrenze – bei einem Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion auch mit Grenzkontrollen.

Oder doch nicht? Alle Seiten beteuern, die Grenze müsse „unsichtbar“ bleiben. Und von Personenkontrollen spricht niemand. Seit Irlands Trennung von Großbritannien 1923 bilden beide Staaten ein „Common Travel Area“ mit uneingeschränkter Freizügigkeit – eine Regelung, die den Brexit überdauern wird. Weder Großbritannien noch Irland sind im Schengenraum, alle Nordiren haben das Recht auf irische Staatsbürgerschaft.

Was den Warenverkehr angeht, gingen im vergangenen Jahr von Nord­irlands Exporten – ein Drittel der nord­irischen Wirtschaftsleistung – 58 Prozent nach Großbritannien, nur 14 Prozent in die Republik Irland. Vom Irland-Anteil fallen schätzungsweise vier Fünftel unter den „kleinen Grenzverkehr“, der in allen internationalen Regelungen von Handelsbarrieren ausgenommen wäre, beispielsweise wenn nordirische Milchbauern irische Molkereien nutzen. Kontrollen gibt es auch heute zuweilen, etwa um gegen Benzin- und Zigarettenschmuggel vorzugehen.

Dennoch wären die Brexit-Verhandlungen Anfang Dezember fast wegen Irland geplatzt. Im „Joint Report“, mit dem Brüssel und London am 8. Dezember die erste Phase ihrer Gespräche abschlossen, wurde die Frage vertagt: Sollte die unsichtbare Grenze nicht in einer Gesamtvereinbarung fortbestehen, heißt es, „wird Großbritannien spezifische Lösungen vorschlagen (…) In Abwesenheit von vereinbarten Lösungen wird Großbritannien vollständige Angleichung an jene Regeln des Binnenmarktes und der Zollunion gewährleisten, die heute oder in Zukunft Nord-Süd-Beziehungen, die Ökonomie der Gesamtinsel und den Schutz des Abkommens von 1998 unterstützen.“ Gemeint ist das Karfreitagsabkommen von 1998, das Nordirlands Bürgerkrieg zwischen pro-britischen Unionisten und pro-irischen Republikanern beendete. Weiter heißt es, „dass keine neuen regulatorischen Barrieren zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreiches entstehen, außer wenn die Nordirland-Behörden (…) entscheiden.“

Man hofft also, dass sich das Problem von selbst erledigt – durch ein Freihandelsabkommen der EU mit Großbritannien. Wenn nicht, obliegen andere Lösungen in erster Linie den Nordiren selbst.

Nordirland verfügt nämlich im Prinzip über eine eigene Regionalregierung mit weitreichenden Kompetenzen und eigenen Gesetzen. So ist Abtreibung in Nordirland verboten – so wie in Irland. Und ab 2018 sollen in Nordirland sogar die niedrigen irischen Unternehmensteuersätze gelten – sofern die derzeit zusammengebrochene Regionalregierung in Belfast vorher wieder eingesetzt wird.

So könnte Nordirland der attraktivste Wirtschaftsstandort der Britischen Inseln werden, mit privilegiertem Zugang zu den britischen und irischen Märkten gleichermaßen. Bleibt die Frage, ob die EU das dulden würde.

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