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Besuch vom Labormobil

Wie ein Verein vom Rhein für sauberes Trinkwasser in Niedersachsen kämpft

Die ökologischen Schäden sind weit schwieriger zu bestimmen – saurer Regen, Waldsterben, das war eine andere Zeit

Von Benno Schirrmeister

Sie messen. Das war schon immer der Ansatz. „Mit Daten kann man über etwas besser diskutieren“, sagt Harald Gülzow. Und Nitrat ist derzeit eins ihrer sechs Hauptthemen: Jeden Sommer fahren die Freiwilligen des Vereins „VSR-Gewässerschutz“ übers Land und klappern die Kleinstädte ab und die größeren Dörfer, Wasserproben sammeln. „VSR“ steht für „Verein zum Schutze des Rheins und seiner Nebenflüsse“, so hieß der Verein früher. Seit 2004 trägt er den jetzigen Namen, um deutlich zu machen, dass er sich auch um die Wasserqualität anderswo kümmert.

Dafür parkt dann der gelbe Citroën Jumper aufm Markt, das „Labormobil“. Und die Leute, die in der Gegend einen Brunnen im Garten haben, stehen Schlange: Man will ja schon wissen, womit man das Planschbecken füllt und die Radieschen gießt. Also geben sie Wasserfläschchen ab, die Vereinsmitarbeiter*innen etikettieren die, protokollieren die Angaben zum Standort, und anschließend wird analysiert. „Wir messen das, was wir gut messen können“, sagt Gülzow: Nitrat, Alugehalt, Säure, Eisengehalt. Aussagekräftig wird das, „weil es so viele Proben sind“, sagt Gülzow. „Dadurch ergibt sich ein guter statistischer Wert.“ Einer, der Wirklichkeit abbildet, auch wenn die Proben eben nicht immer aus derselben Quelle stammen.

„Uns ging es immer darum, Messwerte offenzulegen“, sagt Gülzow. Früher war das oft ein ewiges Gezerre, überhaupt an offizielle Umweltdaten zu kommen. Mittlerweile gehen die Behörden entspannter damit um, aber Politik wird immer noch damit gemacht: „In Mecklenburg-Vorpommern ist die Nitratbelastung lange geleugnet worden“, bis 2014, als die grüne Landtagsfraktion per Anfrage nachgehakt hatte. Insgesamt kommt der Verein aber trotz anderer Methodik zu den gleichen oder mindestens zu vergleichbaren Ergebnissen wie Umweltbundesamt oder die Umweltministerien der Länder, die stets an denselben Prüfbrunnen ihre Proben ziehen.

Die Ergebnisse der Untersuchung werden in eine Karte mit den Landkreisgrenzen übertragen. Beispiel Stickstoff: Signalrot heißt, die Hälfte der Brunnen im Gebiet hatte über 50 Milligramm Stickstoff pro Liter. Je niedriger die Belastung, desto blasser die Schattierung. Grün steht für unbelastet.

Das gibt es in Niedersachsen auch. In Aurich, in Leer, Ostfriesland und, das leuchtende Beispiel, Stade. Aber sonst zieht sich ein schreirotes Band von Meppen bis Wolfsburg durch die Tiefebene, von Schweinegürtel und Geflügelfabriken bis zu den Rüben- und Weizenbauern der Löß-Börde, dorthin, wo die Ackerböden gut und die Gülletransporter aus dem Emsland willkommen sind. Denn billige Gülle steigert den Ertrag. Der Nährstoffüberschuss der Landwirtschaft wird nicht wirklich unproblematischer dadurch, dass man ihn quer durchs Land kutschiert.

Wo sie wissenschaftlich untersucht wird, ist Konsens, dass die Stickstoffbelastung des Grundwassers durch Überdüngung hervorgerufen wird, auch wenn sich der Bauernverband, der in Niedersachsen und Schleswig-Holstein Landvolk heißt, gegen diese Einschätzung wehrt. Auch das Umweltbundesamt sieht die Überdüngung als Ursache der Stickstoffbelastung. Und die Landwirtschaft scheint auch Ursache dafür zu sein, dass immer noch Grundwasser versauert. „Leider ist das so“, sagt Gülzow.

Versauerung ist ein zweites VSR-Projekt. Versauerung, das klingt nach alten Zeiten, als saurer Regen und Waldsterben die Schlagzeilen beherrschten. Auch beim Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft hat man zwar die erhöhten Werte bei der turnusgemäßen Untersuchung im Jahr 2000 für auffällig befunden und über „anthropogene Quellen“ nachgedacht – aber die Werte der folgenden Grundwasser­untersuchungen von 2005 und 2010 und 2015 wurden zwar erhoben, aber nicht dokumentiert.

Normalerweise müsste das Problem ja auch längst erledigt sein: Schwefel-Emissionen sind seit 1990 um mehr als 90 Prozent zurückgedrängt worden, die Stickoxide von Verkehr und Industrie haben sich halbiert. Bloß: Aus dem ­Agrarbereich kommt es immer noch dicke. Und trotz drastischer Luftreinhaltemaßnahmen weist jede zehnte oberflächennahe Grundwassermessstelle Norddeutschlands einen pH-Wert von 5,7 auf, und der Aluminiumgehalt – Alukonzentration und Versauerung hängen zusammen – liegt weit jenseits der Trinkwassergrenzwerte. Der liegt für Aluminium bei 0,2 Milligramm pro Liter. Vor allem in Regionen, die durch industrialisierte Intensivtierhaltung geprägt sind, also im Emsland etwa, kommen dramatische Überschreitungen vor. So hat der VSR in Meppen im Mai Brunnenwasser mit einer Alu-Konzentration von 4,2 Milligramm pro Liter eingereicht bekommen, in Dalum gleich nebenan waren es noch 2,75 Milligramm und 1,8 im Feldkamp. Die Giftigkeit von Aluminium ist lange eher für gering gehalten worden.

Mittlerweile wird Aluminium als Neuro- und Nevrotoxin ernster genommen, und selbstverständlich darf es das Trinkwasser nicht belasten. Für Wasserwerke bedeutet das: aufrüsten, oder wenigstens den gleichen Aufwand betreiben wie damals, als das Waldsterben noch die Schlagzeilen beherrschte. In der Düshorner Heide holt man mit Dolomitfiltern das überschüssige Alu aus Hannovers Trinkwasser. In Wingst, das Cuxhaven versorgt, hat man einen der 20 Brunnen bereits stilllegen müssen. Höherer Aufwand plus Verknappung: Das wird sich im Preis niederschlagen, das ist die greifbarste Wirkung.

Die ökologischen Schäden sind weit schwieriger zu bestimmen – saurer Regen, Waldsterben, das war eine andere Zeit. Die Bundeshauptstadt hieß Bonn und sie lag an einem stinkenden braunen Band, das eher ein Menetekel als ein Fluss war: der Rhein. „Nie wieder“, dieser Schwur ist von Deutschlands erstem Umweltminister Klaus Töpfer überliefert, der 1988 in einem Akt verzweifelter Symbolpolitik neoprenumhüllt den hochbelasteten Strom durchschwamm.

Damals eine Umweltorganisation mit dem Namen „Verein zum Schutz des Rheines“ zu gründen, lag nahe. Am Rhein ist es jetzt wieder schön, und es ist auch klar, warum. Mit den Direkteinleitungen der Pharmagiganten, der petro-chemischen Industrie und der Kommunen war irgendwann Schluss. „Die Probleme der Gewässer haben sich verlagert“, sagt Gülzow. Mittlerweile seien es „viel mehr die Hintergrundbelastungen aus diffusen Quellen“, die Sorge bereiten.

Das hat auch das geografische Zentrum der Gewässerschutz-Arbeit verschoben: Alu, Nitrat, Phosphat, das Blaualgenwachstum fördert, die Ver­ockerung des Grundwassers, also die übermäßige Eisenkonzentration – für alle diese Belastungen heißt der Hotspot: Niedersachsen. Denn das ist das Agrarland Nummer eins.

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