Ausgezeichnete Bilderbücher für Kinder: Was zur Hölle ist hier los?
Das Bilderbuch „Hier kommt keiner durch“ hat den Jugendliteraturpreis erhalten. Auch lesenswert: „Plötzlich war Lysander da“ von Antje Damm.
„Halt! Es tut mir leid, aber es ist nicht gestattet, die rechte Buchseite zu betreten.“ Den Autoren Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho ist mit „Hier kommt keiner durch“ ein Geniestreich gelungen. Das Bilderbuch beginnt mit einer weißen Doppelseite, auf der ein uniformierter Aufpasser in der Mitte verloren Wache schiebt. Er kontrolliert den Buchfalz-Anweisung des Generals. Doch immer mehr der von Carvalho mit Filzstift humorvoll gezeichneten Gestalten bevölkern die linke Seite.
Am Aufpasser kommt niemand vorbei. Ein Basketballteam, ein Gespenst, die schöne Isabel, zwei Monteure, Fahrradtouristen, ein Hund. Bald wird es richtig eng. Doch der Wachmann weigert sich stoisch die bunte Menge auf die rechte Seite passieren zu lassen. Murren macht sich in Sprechblasen breit. Auch gutes Zureden hilft nicht weiter. Bis plötzlich zwei Jungen, „Lionel“ und „Cristiano“ der Fußball auf die andere, noch leere, weiße Buchseite rollt.
Rasant entwickelt sich die Geschichte zu einer virtuosen Auseinandersetzung über den Sinn von Grenzen, Autorität und zivilem Ungehorsam. Schauplatz und Austragungsort ist das Buch selbst. Irgendwann kommt der General hoch zu Ross auf die Seite geprescht: „Was zur Hölle ist hier los?“
Jugendliteraturpreis in der Kategorie Bilderbuch
Isabel Minhós Martins/Bernardo P. Carvalho: „Hier kommt keiner durch!“. Übersetzung von F. Hauffe. Klett Kinderbuch, Leipzig 2016, 40 S., 13,95 Euro. Ab 4 Jahre
Antje Damm: „Plötzlich war Lysander da“. Moritz Verlag, Frankfurt/Main 2017, 36 S., 12,95 Euro. Ab 4 Jahre
Sean Taylor/Jean Jullien: „Superkauz. Meister der Verkleidung“. Aus d. Engl. v. Nadia Budde. Kunstmann, München 2017, 48 S., 15 Euro. Ab 3 Jahre
Selbstbild und Wirklichkeit sind nicht unbedingt Deckungsgleich im Alltag von „Superkauz“. In der gleichnamigen Geschichte von Sean Taylor verfolgt man amüsiert die nächtliche Jagd einer jungen Eule, die sich selbst als cleveren, pfeilschnellen Verwandlungskünstler imaginiert. Doch leider scheitern erst mal all ihre Versuche, gut getarnt leichte Beute zu machen. „Klappt nicht. Was soll’s.“ Mit trockenem Humor erzählt Sean Taylor von den vermasselten Abenteuern von „Superkauz“. Der französische Illustrator Jean Jullien hat dafür dynamische und aufs Wesentliche reduzierte, kräftige Bilder gefunden.
Reza Dalvand: „Etwas Schwarzes“. Aus dem Persischen von Nasli Hodaie. Baobab Books, Basel 2017, 32 Seiten, 16,50 Euro. Ab 5 Jahre
Die farbenprächtig illustrierte Geschichte des in Teheran lebenden Künstlers Reza Dalvand handelt von der Unruhe und Angst, die sich unter den Waldbewohnern ausbreitet, als eines Tages ein unbekannter schwarzer Gegenstand auftaucht. Statt am Ende deren Sorge aufzulösen, bleibt die Geschichte offen und lädt ein zum eigenen Erzählen. Der persische Originaltext steht auf der Verlags-Website zum Download bereit.
Michelle Knudsen/Kevin Hawkes: „Ein Löwe in der Bibliothek“. Aus d. Engl. v. S. M. Sievi. Orell Füssli, Zürich 2017, 42 S., 14,95 Euro. Ab 4 Jahre
Was alles passiert, als eines Tages ein ausgewachsener Löwe in der Bibliothek der strengen Frau Pepper auftaucht, davon erzählt das mit Retro-Charme illustrierte US-amerikanische Kinderbuch „Ein Löwe in der Bibliothek“ („Library Lion“). Es feiert aber auch einen fantastischen, ganz zeitgemäßen öffentlichen Ort – die Leihbibliothek.
Isabel Minhós Martins und Bernardo P. Carvalho, Texterin und Illustrator dieser frechen Bildgeschichte, die auch als charmantes Wimmelbuch funktioniert, sind Mitbegründer des portugiesischen Bilderbuchverlags Planeta Tangerina. Gemeinsam mit der Übersetzerin, Franziska Hauffe, die für die deutsche Ausgabe sprachlich genau den richtigen Ton getroffen hat, wurde ihnen nun hoch verdient in der Kategorie Bilderbuch der Jugendliteraturpreis verliehen.
Für ihr neuestes Bilderbuch „Plötzlich war Lysander da“ entwarf die Architektin und Kinderbuchautorin Antje Damm wieder einmal eine dreidimensionale Kartonkulisse. In dem detailreichen, räumlichen Szenario inszeniert sie sehr lebendig die Geschichte einer Zwangseinquartierung. Dora, Luis und Kathinka, die drei Mäuse, haben es sich in ihrer Erdhöhle auf mehreren Etagen gemütlich eingerichtet.
Plötzlich trifft ein Brief vom Bürgermeister ein. Sie sollen jemand aufnehmen, der habe kein Zuhause mehr. Die Nachricht begeistert die Mäuse keineswegs. Werden die Kartoffeln reichen? Wo soll er schlafen? Doch schon steht der rote Lurch mit Rucksack in ihrer Wohnung und stellt sich freundlich vor: „Ich heiße Lysander und komme von weither aus dem Moor.“ Also machen sie notgedrungen Platz für den erschöpften Neuankömmling, beäugen aber fortan misstrauisch, was er tut.
Begegnung mit dem fremden Lurch
Trotzdem sind sie einverstanden, als der Lurch um einen Platz in der von ihnen kaum benutzten Badewanne bittet. Auf unprätentiöse Weise erzählt die Autorin von der schwierigen Begegnung der Mäuse mit dem fremden Lurch. Mit ihrer eigenen Technik – nicht perfektionistisch, aber ausdrucksstark – entwickelt die Architektin Damm die Geschichte wie eine Bühne im Schuhkartonformat. Visuell sehr gelungen in Szene gesetzt, überrascht die kleine Bilderzählung von einem großen Thema mit einer Wendung, die alle Feindseligkeiten und Vorurteile gegenüber Lysander beendet.
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