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Von sich absehen

Fehlender Abstand, Distanzierung als Behelf und der Aufenthalt in der Blase als Chance: Notizen von der 41. Duisburger Filmwoche

Max Sängers Film betrachtet Bienen und den Bienenforscher Paddy Saunders bei der Arbeit Foto: 41. Duis­burger Filmwoche

Von Carolin Weidner

Immer wieder ging es in der 41. Ausgabe der Duisburger Filmwoche um die Metapher der Blase. Man thematisierte den eigenen Aufenthalt darin sowie die Dicke der Wände und die Unmöglichkeit, von einer in die andere zu gelangen. In einer Art Werkstattgespräch zwischen dem Journalisten Matthias Dell und Dokumentarfilmer Thomas Heise beschrieb Heise eine Familiensituation, eine „Ansage von zu Hause“, die der eigenen Wahrnehmungshoheit entgegenwirken sollte: Gefordert war dort, „dass man von sich absieht“. Dieses Von-sich-Absehen misslang einigen Werken der Filmwoche. Aber gerade durch das Scheitern entstand manchmal Interessantes, von dem die Filmemacher teils selbst noch nichts wussten.

In Florian Hoffmanns „Egal gibt es nicht“, einem Porträt über Jungaktivistin Paulina, Gesicht der Kampagne „Kleiner Fünf“, die noch bis vor Kurzem durch Deutschland zog, um das Einziehen der AfD in den Bundestag zu verhindern, kommt der Regisseur über das Zeigen der emsigen Bemühungen seiner Protagonistin nicht hinaus, doch dabei wird anderes offenbar. So ist Paulina gemeinsam mit Coaches beim Einstudieren der richtigen Appellperformance zu beobachten. Sie sagt, sie hasse nichts mehr als Müdigkeit. Gut, dass ein paar Freunde nach einer Reise mit dem ICE mit Prosecco auf dem Gleis warten. Das sind großartige Szenen.

Paulina untermauert ihre politische Arbeit weniger mit Positionen als mit einer „tiefen Überzeugung“. In ihrem Gesicht, das „Kleiner Fünf“ auf alle Plakate und Postkarten hat drucken lassen, rührt sich dabei eine ganze Menge. Beim Zusehen auch. Paulinas Auftritt erzeugt Widerwillen, aber auch eine gewisse Bewunderung, jemand nennt ihn eine „Feedbackschleife der Selbstinszenierung“. „Ist Paulina nicht selbst Symptom der Filterblase, da der Film den Schritt nach außen verstellt?“, fragt jemand. Vielleicht. Derweil ist die Blase der Blase längst inhärent: Als Paulina auf rechten Internetplattformen angegangen wird, schweigt sich ihr Team aus.

Ein anderes Beispiel ist „Familienleben“ von Irina Heckmann, der halbbewusst ebenfalls ein erstaunliches Werk gelungen ist. In ihm macht Heckmann eigentlich nichts weiter, als einzelne Familienmitglieder zu filmen, Russlanddeutsche, die vor Jahren nach Deutschland zurückgekehrt sind. Dort waren sie „die Faschisten“, hier sind sie „die Russen“. Dabei stimmt „nichts weiter, als zu filmen“ natürlich nicht. Heckmanns Aufnahmen sind Ergebnis einer Nähe, welche die Filmemacherin in Nahaufnahmen übersetzt hat, die jede einzelne Pore einsehbar machen. Von „ästhetischer Hässlichkeit“ ist in der Diskussion im Anschluss die Rede, auf die Heckmann erwidert, sie könne sich eben noch keine besseren Objektive leisten. Man spricht aneinander vorbei.

In „Familienleben“ rollen Episoden ab, die einen schlucken lassen, etwa wenn Bruder Heckmann, ohne mit der Wimper zu zucken, erklärt, er interessiere sich in seinem Leben für nichts außer das eigene materielle Fortkommen. Da nützt auch das hübsche Mensch-Maschine-Outfit nichts, in das er sich anlässlich der Weihnachtsfeiertage gesteckt hat: knallrotes Hemd, schwarzer Schlips. „Familienleben“ beglückt durch das Verstören, das er auslöst, dennoch.

Da war bei „Was uns bindet“, ebenfalls in Duisburg zu sehen und bereits einige Monate zuvor auf der Diagonale mit dem Preis für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet, ein anderer Blick auf das auszumachen, was Filmemacherin Ivette Löcker als „Familiensystem“ benannte: „Ich wusste erst nicht, ob ich mein vorgezogenes Erbe (die Hälfte eines alten Bauernhauses und ein Stück Wald) überhaupt annehmen will. Über die Jahre habe ich mich räumlich wie mental von dem Ort in den Salzburger Bergen, in dem ich aufgewachsen bin, weit entfernt“, wird Löcker im Katalog zitiert.

Preis der Sehschwäche

Die Regisseurin wird in der Erfahrung, die sie bei den Eltern macht, selbst erfahrbar, sie ist präsent. Das Filmemachen nutzt sie wohl auch als Behelf, um sich vor der Zankblase, in der sich die Eltern befinden, zu schützen. Das Tun ermöglicht Distanz, die nötig ist, um von sich und der eigenen Kinderrolle abzusehen. Es scheint, als wäre ein Hinsehen ohne ein vormaliges Absehen nur um den Preis der Sehschwäche zu haben.

Max Sängers „Spineless Kingdom“, ein Kurzfilm, der den Bienenforscher Paddy Saunders bei Leben und Arbeit betrachtet, ist deswegen besonders, weil er dessen introvertiertes Reich betritt, um auf viel mehr zu stoßen, unter anderem sich selbst. Sänger erkennt in Saunders eine pragmatische und unmissionarische Haltung wieder, mit der auch er seinen Kampf gegen die Mühlen der industriellen Gleichgültigkeit führt. Auch die prekäre ökonomische Lage sei beiden, Filmemacher und Forscher, gemein. Sänger gewahrt über die Dauer des Films einen Abstand, der auch Anstand ist und den er mit der Scheuheit Saunders begründet. Auch das eine Möglichkeit, von sich abzusehen.

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