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Kommentar EU-Verfahren gegen PolenDrum prüfe, wer sich ewig windet

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Die EU-Abgeordneten drücken sich davor, den Entzug des Stimmrechts für Polen einzuleiten. Die Wertegemeinschaft ist ein zahnloser Tiger.

Lässt sich das Problem der EU mit Polen noch irgendwie auflösen? Foto: dpa

D ie Europäische Union ist nicht bloß ein Wirtschaftsklub. Sie betrachtet sich als Wertegemeinschaft, die Demokratie und Rechtsstaat in Europa hochhält – und zur Not mit Zähnen und Klauen verteidigt. In der Praxis ist davon allerdings nicht viel zu sehen. In Ungarn und Polen werden die EU-Werte mit Füßen getreten. In Warschau wird die Justiz geknebelt, in Budapest trifft es Medien und NGOs.

All das ist seit Jahren bekannt, geschehen ist (fast) nichts. Die EU-Kommission hat zwar mehrere Verfahren eingeleitet, um den Rechtsstaat in beiden Ländern zu schützen oder wiederherzustellen. Doch das Ergebnis ist gleich null. Vor allem die polnische Regierung, die offiziell von Beata Szydło geleitet, de facto aber von Jarosław Kaczyński dirigiert wird, ignoriert die Beschwerden aus Brüssel.

Zuletzt wurden nicht einmal mehr die Mahnbriefe der EU-Kommission beantwortet. Vizepräsident Frans Timmermans drohte deswegen zwar mit der „Nuklearoption“, dem Entzug der Stimmrechte im EU-Ministerrat, er wurde aber zurückgepfiffen – nicht zuletzt von Kanzlerin Angela Merkel, die sich keinen Krach mit Warschau leisten mag.

Das Europaparlament muss derlei Rücksichten nicht nehmen. Hinter vorgehaltener Hand hat die Kommission die Abgeordneten sogar gebeten, in die Bresche zu springen und ihrerseits die „Nuklearoption“ zu ziehen.

Doch auch sie zögern. Statt sofort ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags einzuleiten, der zum Entzug des Stimmrechts führen kann, haben sie eine erneute Prüfung eingeleitet. Man fasst sich an den Kopf. Denn was, bitte schön, soll denn aus dieser Überprüfung hervorgehen? Dass es in Polen schwere Verletzungen der europäischen Grundwerte gibt, hat bereits die EU-Kommission herausgefunden.

Nein, die Europaabgeordneten drücken sich, genau wie Kommission und Ministerrat. Die EU entpuppt sich am Beispiel Polen als zahnloser Tiger, der so lange prüft und zögert, bis vollendete Tatsachen geschaffen werden.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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9 Kommentare

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  • Ich finde, es wird in der EU zu oft mit zweierlei Maß gemessen. Bei Griechenland, wo die Regierung unter Führung der Syriza ganz klar politische Prozesse etwa gegen Andreas Georgiou führt und die Generalstaatsanwältin Xeni Demetriou wurde auch von der Syriza eingesetzt. Um für den einzigen ehrlichen Chef des Statistikamts seit mindestens 20 Jahren lebenslange Haft zu fordern und ihn mit einer Flut von absurden Prozessen zu überschwemmen und durch Strafandrohungen seine öffentliche Meinungsäußerung zu behindern, da hört man nur leise Töne aus Brüssel oder die Vorgänge in Katalonien, angeblich ausschließlich ein inneres Problem. Aber in Polen ist angeblich die Demokratie in Gefahr und es wird die schwere Artillerie ausgepackt wird.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      "Ich finde, es wird in der EU zu oft mit zweierlei Maß gemessen."

       

      Na das wissen wir doch spätestens seit Schröder die Maastrichkriterien extra für Deutschland aufgeweicht hat damit Deutschland um eine Rüge herumkommt. Die "Kleinen" in Europa haben da von den "Großen" gelernt, dass man sich nicht an die EU-Regeln halten muss. Jetzt wo sich die "Kleinen" nicht mehr daran halten regen sich ausgerechnet die auf, die sich noch nie an die EU-Regeln gehalten haben...

      • @4845 (Profil gelöscht):

        Der Unterschied ist, die "Kleinen" könnte man disziplinieren, die "Großen" nicht.

        • 4G
          4845 (Profil gelöscht)
          @Sven Günther:

          Und darin liegt das Problem im System der EU...

  • Man wartet. Worauf? Auf Gesinnungswandel, auf Wahlen in Polen? Ersteres ist sinnlos, zweites gefährlich und das wissen auch alle. Dss Problem ist eher, dass die EU sich einfach nicht dazu durchringen kann, das Ausscheiden Polens in Kauf zu nehmen und noch weniger, dieses Ausscheiden als Chance und eigenes Ziel zu definieren. Es muss aber genau dieses Ausscheiden mindestens riskiert werden. Polen oder auch Ungarn sind aber auch gar nicht das eigentliche Problem. Die wirkliche Frage ist, ob die EU- Staaten die Kraft finden wirklich Macht und Kompetenzen an die EU abzugeben und sie zu demokratisieren. So wie jetzt kann es nicht mehr lange weitergehen. Vor oder zurück!

  • "Hinter vorgehaltener Hand hat die Kommission die Abgeordneten sogar gebeten, in die Bresche zu springen und ihrerseits die „Nuklearoption“ zu ziehen."

     

    Also EU mahnt ein Land ab wg. angeblicher Verstöße gegen Gewaltenteilung und die Exekutive "bittet" die Legislative in ihrem Sinne zu stimmen?

    EU ist echt ein Paradebeispiel für Pseudodemokratie. Man muss nur an Trilog denken...

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    Man müsste die "Nuklearoption" vielleicht zuerst gegen ein Land ziehen, dessen Regierungspartei nicht zur größten Fraktion im EU-Parlament gehört, vielleicht gegen Malta (wegen Korruption etc.) und gegen Luxemburg (wegen Übervorteilung der anderen Mitgliedsländer durch Steuerdeals). Vielleicht stimmt dann die EVP auch mal gegen Polen und Ungarn (wegen fehlender Unabhängigkeit der Justiz)

  • Die Europäische Union ist nicht bloß ein Wirtschaftsklub. Sie betrachtet sich als Wertegemeinschaft, die Demokratie und Rechtsstaat in Europa hochhält...

     

    Meinen die bezahlten Europäer im Brüssler Elfenbeinturm.

    Hört sich gut an hat aber nichts mit der Realität zu tun.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Die EU Sanktionen könnten zunächst Wasser auf den Mühlen der PiS sein und als Beleg für äußere Einmischung dienen. Aber in Anbetracht der Umfragewerte der PiS in Polen fürchte ich mittlerweile, muss die polnische Bevölkerung erst unter der politischen und wirtschaftlichen Isolation leiden muss bis eine Mehrheit zur Abwahl der PiS mobilisiert werden kann. Das wirkliche Problem dabei ist, es gibt keine echte gute Regierungsalternative zur PiS denn die neoliberale PO ist genauso inkomptent und korrupt und ander Parteien rangieren unter fernerliefen... Echte Sozialdemokaten gibt es praktisch keine.