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Kommentar Wahl in KeniaEs steht viel auf dem Spiel

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Selten schienen in Ostafrikas Führungsnation die politischen Gräben so tief. Das Land braucht nicht weniger als eine politisch-moralische Revolution.

Zum Wählen bitte hinten anstellen Foto: ap

W ie geht es weiter für Kenia nach dem Wahldebakel? Der Sieg von Präsident Uhuru Kenyatta steht angesichts des Oppositionsboykotts außer Zweifel, aber ob er auch regieren kann, ist fraglich. Noch nie seit der Überwindung des Einparteienstaates vor einem Vierteljahrhundert schienen die politischen Gräben so tief.

Radikale Anhänger der Opposition sprechen nicht nur Kenyatta die Legitimität ab, sondern auch dem gesamten Staat. Die jetzige Wahlwiederholung war in ihren Augen keine zu ergreifende Chance zum Machtwechsel mehr, sondern eine zu bekämpfende Machtdemonstration – so wie in manch anderen Ländern, wo Langzeitherrscher unangefochten im Sattel sitzen und der Gang zur Wahlurne als Loyalitätsbeweis dient. Der pluralistische und liberale Vorsprung, der Kenias politische Kultur bislang trotz aller Korruption und Gewalt von seinen Nachbarn unterschied, schmilzt gefährlich dahin.

Besonders bedrohlich ist das, weil Kenia mit seinen knapp 50 Millionen Einwohnern die Führungsmacht in Ostafrika ist. Die Hauptstadt Nairobi ist eine der modernsten in Afrika. Kenias Volkswirtschaft ist eines der wenigen Schwergewichte auf dem Kontinent, die nicht von der Rohstoffausbeutung oder Staatsbetrieben abhängig ist. Bei technischen Innovationen ist Kenia vorn, die dynamische Mittelschicht steht für viele der globalen Hoffnungen auf Afrikas Aufstieg. Und Kenia ist ein wichtiges Tor Afrikas nach Asien – wenn Kenias Straßen und Häfen blockiert sind, leidet darunter die ganze Region.

Es steht also viel auf dem Spiel, und es kann sehr schnell gehen. Beide politischen Lager sind inzwischen davon überzeugt, der Gegner bewege sich außerhalb von Recht und Gesetz. Oppositionsführer Raila Odinga rief am Tag vor der Wahl zum „Widerstand“ auf. Von Scharfmachern der Gegenseite kamen postwendend Vergleiche zwischen Odinga und den islamistischen Shabaab-Terroristen aus Somalia.

Kenia braucht neue, unverbrauchte Köpfe

Umgekehrt ist immer noch nicht völlig ausgeschlossen, dass Präsident Kenyatta seinen Widersacher Odinga in die Regierung aufnimmt. Dann können beide behaupten, sich um das Wohl der Nation zu sorgen. Aber wenn Kenias Probleme sich dadurch lösen ließen, wäre das Land heute in besserer Verfassung. Kenia braucht neue, unverbrauchte Köpfe. Der Streit um die Präsidentenwahl hat in den Hintergrund gedrängt, dass im August nicht nur ein Präsident gewählt wurde, sondern auch ein neues Parlament und neue Provinzregierungen – ohne Wahlanfechtung oder Annulierung. Zahlreiche Volksvertreter auf allen Ebenen warten seit Monaten darauf, endlich etwas Sinnvolles tun zu dürfen.

Kenia muss wieder ein Land werden, dessen Bürger Vertrauen in ihren Staat haben. Auf die neue Verfassung von 2010, die eine Dezentralisierung begründete, könnten weitere Reformen folgen. Die Staatsorgane, von der Verkehrspolizei aufwärts, müssen sich an Recht und Gesetz halten. Insgesamt braucht das Land nicht weniger als eine politisch-moralische Revolution – ganz unabhängig davon, wer jetzt regiert. Alle wissen es. Aber noch weiß niemand, wie es geht. Dominic Johnson

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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