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Pendler stoppen Bahn

Bahnkunden streiken friedlich in Klanxbüll

Von Benno Schirrmeister

Am Mittwochmorgen ist etwas am Bahnhof Klanxbüll passiert, was unmöglich schien: Statt wie vorgesehen auf Gleis 1 wartete der 7.42-Uhr-Zug nach Westerland auf Sylt auf Gleis 3, weil PendlerInnen den Vorgängerzug in einer Protestaktion blockiert hatten. Derart spontanes Handeln sind die Leute im nördlichsten Zipfel Nordfrieslands von der Nahverkehrsgesellschaft nicht gewohnt. Die Bräsigkeit der Bahngesellschaft ist der Grund für ihren Ärger: Oft, sehr oft fallen die Züge aus, die hier täglich rund 4.000 Beschäftigte vom Festland auf die Insel bringen sollen, spontane Abhilfe gibt es dafür angeblich nie.

Die PendlerInnen können damit aber umgehen, wie sie am Mittwoch bewiesen haben: Die Gruppe der rund 400 DemonstrantInnen hat sich aufgeteilt, haben sich auch im zweiten Zug in die Türen gestellt und so verhindert, dass die Bahn ihren Streik bricht. Bis abends 19.30 Uhr standen alle Räder still. Unverhältnismäßig, jammerte gleich der NDR. Aber das ist natürlich Quatsch.

Denn die Klanxbüller sind extrem treue Bahnkunden, ob sie wollen oder nicht, man könnte sie auch als Geiseln der Nahverkehrsbetriebe bezeichnen: Weil es auf Sylt zwar Jobs, aber für ein Angestelltensalär kaum Wohnraum gibt, wohnen viele Leute auf dem Festland. Der Haken: Sylt ist eine Insel. Von Klanxbüll nach Westerland kann man zwar auch mit dem Auto gelangen – aber nur, wenn man etwa 50 Kilometer die Küste entlang gen Norden nach Dänemark reinfährt, dort weiter übern Damm nach Danland auf Rømø rüber, anschließend die Insel runter bis zur ziemlich kostspielligen Fähre, die nach List geht. Von da sind es dann nur noch knapp 18 Kilometer. Fahrtzeit insgesamt: drei Stunden.

Das ist nicht zumutbar. Folge: Die Leute sind auf die Züge und die Strecke angewiesen, und beides war über die Jahre so sehr verwahrlost, dass die Waggons komplett verdreckt, Ausfälle die Regel und Verspätungen schon nicht mal mehr messbar waren. Irgendwann platzt dann halt der Kragen, und friedlich den Zugverkehr zu stoppen ist ein völlig legitimes Mittel, dem Anliegen wahrnehmbar Ausdruck zu verschaffen. Auch wenn man im Verkehrsministerium in Kiel meint, das komme jetzt aber zur Unzeit, „da sich gerade jetzt Besserung abzeichnet“. Immerhin wären zwölf der 15 Züge bereits instand gesetzt und auch die drei übrigen sollen in den kommenden Wochen wieder fahren.

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