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Widerstand gegen das türkische SystemWissen schafft Freiheit

Die intellektuelle türkische Diaspora versucht im Exil den Widerstand zu formieren: Durch Aufklärung und Kritik an Europas komplizenhaftem Verhalten

Offizieller Einsatz für die Forschung: Erdoǧan empfängt den Nobelpreisträger Aziz Sancert. Foto: Turkish President Press Ofiice/dpa

BREMEN taz | Dass sich eine intellektuelle Diaspora formiert, ist eine gute Voraussetzung für den Widerstand – ein trotzig optimistisches Fazit regte die 2016 von ihrer Lehrtätigkeit in Ankara entbundene türkische Genderforscherin Betül Yarar zum Schluss einer Diskussion in Bremen an: „Die Erdoğan-Regierung hat sehr genau gewusst, was passiert, wenn wir ins Ausland gehen“, so die Professorin. Deshalb habe das Regime ja zuerst die Pässe der unliebsamen ForscherInnen eingezogen.

Statt „in Hoffnungslosigkeit zu verharren“ sei gefragt, beispielsweise den Aufbau klandestiner Off-Universitäten voranzutreiben, die freie Lehre in der Türkei ermöglichen. „Wir müssen neue Modelle ausprobieren, die überall funktionieren.“ Denn „auch in Ungarn werden ja Universitäten geschlossen“, erinnerte Yarar.

Diaspora kann kollektive Identitäten stärken, kann politisch wirken – aber nur, wenn sie soziale und politische Orte findet und Podien, wie jenes in Bremen am Dienstag, das Kerstin Knopf organisiert hatte, die Dekanin des Instituts für postkoloniale und transkulturelle Studien. Sie sind nötig, um andere Exilierte zu erreichen. Und um die aufnehmende Gesellschaft über die Probleme der Herkunftsländer aufklären: Dafür war Celal Bașlangiç gekommen, einer der prägenden Redakteure der überregionalen Tageszeitung Cumhuriyet: „So schlimm wie jetzt war es noch nie“, fasst er die Lage zusammen. Dabei war er schon in den 1980er-Jahren Journalist, zu Zeiten der Militärdiktatur. „Es ist eine Hölle.“

Seinen Plan, einen neuen oppositionellen Fernsehsender in der Türkei aufzubauen, verwarf er, als Anfang 2016 der private Kanal İMC TV geschlossen wurde – und das Regime dessen Produktionsmittel, Equipment, Kameras, Mikros ohne Rechtsgrundlage gekapert und verscheuert hatte – eine amtliche Plünderung. „Da habe ich gesehen, das ist zwecklos“, so Bașlangiç. Jetzt sendet Artı-TV aus Köln – und erreicht die Türkei per Satellit und Stream.

Laut Reporter ohne Grenzen sind nirgends mehr Journalist*innen inhaftiert als in der Türkei. Für WissenschaftlerInnen fehlt ein solcher Überblick, aber es gibt Indikatoren. So vergibt seit 2016 die Philipp-Schwartz-Initiative unter dem Dach der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AVH) Stipendien für bedrohte Forscher*innen, 124 bislang – und mit Abstand die meisten aus der Türkei. Sarkasmus der Geschichte: Namensgeber Schwartz, jüdischer Pathologe, hatte aus seinem Schweizer Exil in der Nazi-Zeit zwangsemeritierten deutschen Wissenschaftlern den Weg in die Türkei eröffnet und über 100 Professoren an die Uni Istanbul untergebracht.

Momentan ist Antragsstopp: Das Programm ist ausgebucht, und noch hat das Auswärtige Amt keine Mittel für 2018 bewilligt. Beantragen können die Gelder anerkannte Forschungseinrichtungen: „Uns ist die direkte Anbindung für die Fellows sehr wichtig“, sagt Teresa Havlicek von der Stiftung.

Nicht alle Unis sind daran gleichermaßen interessiert. „In den norddeutschen Bundesländern gibt es 17 Fellows“, einer weniger als in Berlin, knapp halb so viele wie in Nordrhein-Westfalen – aber 17 mehr als in Rheinland-Pfalz und Sachsen. Zu genau dürfe man die regionale Auswertung nicht betreiben, weil Exilierte anonym bleiben müssen. Sagen lasse sich aber, dass „Bremen ausgesprochen aktiv ist“.

Yarar forscht und lehrt an der Uni Bremen, auch der Soziologe Çetin Gürer arbeitet hier als Schwartz-Fellow: Sein Spezialgebiet sind Minderheitenfragen. Auch er war Anfang 2016 von seinem Posten entfernt worden: Wie Yarar und 1.126 andere Wissenschaftler*innen hatte er die Petition der „Akademiker*innen für den Frieden“ unterzeichnet, die den Krieg gegen die kurdische Minderheit verurteilte. Fast alle wurden gefeuert.

„Wir müssen den Widerstand im Ausland organisieren“, sagt Gürer. Dazu fühle er sich „als Intellektueller verpflichtet“. Und dazu, „die Komplizenschaft Europas und Deutschlands mit dem terroristischen Regime aufzudecken“.

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2 Kommentare

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  • Mich würde interessieren,ob der Autor die Überschrift selbst gewählt hat.

    Der ganze Artikel spiegelt wieder, wieviel Unterstützung die türkischen Intellektuellen von Deuschland erhalten: Uniersitäten, Stiftungen, Gelder vom Auswärtigen Amt.

     

    Nur im letzten Satz spricht ein Fellow ganz abstrakt von Komplizenschaft, die er aufdecken will. Wie schafft es dieser Satz, der im Artikel aus dem Kontext gerissen wirkt, in die Übrschrift?

    Wieso wird er dann in der Überschrift noch erweitert in einem Sinn, den der Artikel gar ich hergibt?

    Dass die Diaspora ihren Widerstand durch "Kritik an Europas komplizenhaftem Verhalten" zu "formieren" versucht, steht nicht im Artikel. Ging es um die Provokation? Oder hat derjenige, der die Überschrift auswählte, den Artikel zu flüchtig gelesen?

     

    Als Leser möchte ich informiert, nicht provoziert werden. Informative Überschriften helfen mir da weiter.

    • @rero:

      Zustimmung. Der Artikel belegt, wenn überhaupt, die 'Komplizenhaftigkeit' Deutschlands mit den Oppositionellen und nicht mit der Regierung der Türkei.