: Xi Jinping und die Konzentration der Macht
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping baut seine Herrschaft immer weiter aus. Der Parteikongress der Kommunisten könnte ihn jetzt zum „Mao des 21. Jahrhunderts“ küren
Aus Peking Felix Lee
In einem Punkt dürften sich die vielen Staats- und Regierungschefs, die Xi Jinping in den letzten fünf Jahren begegnet sind, einig sein: Der chinesische Staats- und Parteichef weckt Sympathien. Xi ist stets freundlich, lächelt viel, wirkt unaufgeregt und besonnen. Der 64-Jährige wird selten laut, wilde Anfeindungen gegen seine Gegner spart er sich. Auf der Weltbühne ist er damit quasi der Anti-Trump.
Und auch im eigenen Land gilt er als beliebt. In weiten Teilen der Bevölkerung versteht er es mit seiner väterlichen und zugleich anpackenden Art, Eindruck zu schinden. Xi spricht zudem viel vom Rechtsstaat und von der „Verwirklichung des chinesischen Traums“. Und doch trügt dieser Eindruck. Denn tatsächlich hat seit dem Tod des großen Reformers Deng Xiaoping kein chinesischer Führer mehr so viel Macht an sich gerissen wie es Xi Jinping in den letzten fünf Jahren getan hat.
Derzeit deutet alles darauf hin, dass Xi beim 19. Parteikongress, der am Mittwoch begonnen hat, seine Herrschaft noch weiter ausbauen und selbst die letzten Führungsposten mit seinen Getreuen besetzen wird. Offiziell soll er lediglich für weitere fünf Jahre als Generalsekretär bestätigt werden. Doch seine Kritiker fürchten, dieser Parteikongress könnte zum Krönungsparteitag werden – und zwar für den Mao des 21. Jahrhunderts.
Einen ersten Vorgeschmack gab es bei seiner Auftaktrede am Mittwoch: „Alle Genossen müssen höchst wachsam gegenüber den Gefahren sein“, warnte der Staats- und Parteichef. Auch müssten sie entschieden gegen alles angehen, was die Partei „untergräbt“. Xi rief die 89 Millionen Parteimitglieder zur Geschlossenheit und zu verstärkten Anstrengungen auf, dem „Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ zum Erfolg zu verhelfen. Zudem kündigte er den Aufbau einer starken Armee an, die „Weltklasse“ sein müsse.
Autoritär ist China zwar auch in den letzten 40 Jahren gewesen. Doch nach den schrecklichen Erfahrungen mit Mao und seinen grausamen Kampagnen mit Zehntausenden Opfern hatten die Nachfolger die kollektive Herrschaft eingeführt. Jeder sollte ersetzlich sein. Und jeder sollte sich bei seinen Entscheidungen mit anderen Parteigrößen absprechen müssen. Das war der Gedanke. Unter Xi wird China wieder autokratischer.
Hinter seiner freundlichen Fassade hat er in den letzten fünf Jahren partei- und führungsintern so aufgeräumt wie keiner seiner beiden Vorgänger vor ihm. So erklärte Xi gleich nach Amtsantritt die Korruptionsbekämpfung zur Chefsache und hat das ganze Land mit einer Kampagne überzogen, die bis heute anhält.
Angesichts diverser Skandale ranghoher Parteikader, die sich gnadenlos selbst bereichert hatten und Millionen von US-Dollar illegal ins Ausland schleusten, begrüßten viele sein Vorgehen zwar – auch Beobachter im Westen. Doch inzwischen zeigt sich: Er nutzt die Kampagne, um sich auch seiner innerparteilichen Widersacher zu entledigen.
Mehr als 100.000 Beamte und Parteisekretäre sind bereits ihrer Ämter enthoben, in Haft oder vor Gericht gestellt worden, darunter Dutzende Kader im Rang von Ministern oder Provinzgouverneuren. Westliche Diplomaten sagen, er verbreite ein „Klima der Angst“. Einst mächtige Fraktionen seiner Vorgänger wie die der Kommunistischen Jugendliga oder die „Shanghai-Clique“ hat Xi ausgeschaltet und dafür seine eigenen Vertrauten in Position gebracht. Und damit nicht genug. Auch gegen Dissidenten, Menschenrechtler und Journalisten geht er rigoros vor.
Was zudem irritiert: Xi lässt sich auffällig oft in dem berühmten Anzug blicken, den Mao einst trug. Dabei war Xi unter Mao selbst Opfer. Sein Vater war prominentes KP-Mitglied der ersten Stunde und späterer Vizepräsident. Wie viele der alten Kämpen fiel der Vater unter Mao in Ungnade. Xi selbst musste während der Kulturrevolution zwischen 1966 bis 1977 auf dem Land Strafarbeit verrichten. Erst nach Maos Tod konnte Xi nach Peking zurückkehren und ein Studium aufnehmen. In der Hierarchie der Kommunistischen Partei aufgestiegen ist Xi erst in den verhältnismäßig liberalen 1990er Jahren, als sich China in rasantem Tempo der Außenwelt öffnete.
In der internationalen Wirtschaftswelt wird Xi gefeiert. Auf einer viel beachteten Rede Anfang des Jahres beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte er mit starken Worten ein offenes China versprochen. Seitdem haben sich jedoch die Kapitalflüsse zu anderen Ländern eher abgeschwächt. Die „offene Märkte“ sollen vor allem Chinas Vorteil dienen. Entscheidende Deregulierungen – wie eine Aufhebung der Pflicht zu Zwangskooperationen der Autohersteller – bleiben bisher aus.
Beobachter rätseln, ob Xi sich gar länger als die offiziell erlaubten zwei Amtszeiten an der Macht halten könnte und dafür diese Regelung aufhebt. Nach Ansicht des Hongkonger Politologen Willy Lam braucht er das gar nicht. „Es kann sein, dass er fünfzehn, wenn nicht sogar zwanzig Jahre lang trotzdem die Nummer eins bleiben wird“, vermutet Lam. Längst kontrolliere Xi auch das Militär und den Polizeiapparat. In dieser Kombination verschaffe ihm das mehr Macht als jedes Regierungsamt.
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