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DIETER BAUMANN über LAUFENDas Modell Muskelkater

Glückssuche am falschen Ort: Schön, dass Professor Paul Kirchhof die Fragen stellt, an die ich nicht denke

Nichts, aber auch gar nichts, bleibt in der Welt der Wissenschaft unerforscht. Zu allen Themen machen sich Wissenschaftler auf den Weg, um Erklärungen für Unerklärliches zu finden. Denn was wissen wir schon von der Welt, den Zusammenhängen, den Abläufen, deren Entstehung und deren Ende? Forschung tut Not, auf allen Gebieten. Beim Sport ist das noch vermeintlich einfach.

Die Sportwissenschaften ergründen Themen wie Sportsoziologie, Sportgeschichte, Biomechanik, Sportanatomie oder die Trainingslehre. Daraus leiten die Experten gewisse Trainingsprinzipien ab. Beispielsweise, dass nach einem harten, schnellen Lauf ein Ruhetag folgen soll. Das ist einfach und das versteht jeder. Wer es nicht verstehen sollte, kann es gerne heute Abend ausprobieren.

Laufen Sie sich 10 Minuten mit langsamem Lauftempo ein. Nach ein wenig Gymnastik laufen Sie im Anschluss 15 Minuten, so schnell Sie können. Volle Kiste, ohne Rücksicht auf Verluste. Das versuchen Sie von heute an jeden Abend, eine ganze Woche lang. Nach nur drei Tagen werden Sie müde, immer langsamer und irgendwann haben Sie auch keine Lust mehr. Mit zwei, drei Ruhetagen zwischen den schnellen Läufen wäre das anders. So einfach ist Sportwissenschaft. Das Trainingsprinzip Belastungs- und Erholungsrhythmus wird in der Praxis erlebt bzw. erfühlt und bestätigt die Theorie.

Ein weiteres spannendes Feld der Forschung ist die Glücksforschung. Was ist Glück? Nein, in diesem Fall helfen keine einfachen Antworten wie „Machen Sie morgens um 6.30 Uhr einen Dauerlauf und Sie werden glücklich sein“. Glück ist auch nicht da, wo Franz Beckenbauer ist, zumindest nicht immer. Nein, die Glücksforschung ist etwas ganz Reales. Sie speist sich aus den Fachkreisen der Psychologie, Hirnforschung und Philosophie. Wann sind wir glücklich und warum? Ist Glück ein lang andauernder Zustand oder doch nur eine Momentaufnahme? Ist Glück Zufall oder der Tüchtigkeit zuzuschreiben?

Schwierige Fragen, gerade in Deutschland dieser Tage. Bei uns, habe ich den Eindruck, sucht man das Glück in den falschen Fachrichtungen. Wir reden uns heiß über die Volkswirtschaftslehre und über die Wirtschaftswissenschaften. Natürlich auch ein weites Feld der Forschung. Seit Kirchhof beginne selbst ich als Laie zu verstehen, was Wirtschaftsmodelle sind.

Nun, „verstehen“ ist vielleicht zu viel gesagt, schließlich bin ich kein Wirtschaftsforscher. Er denkt in Steuermodellen, in seiner Welt entstehen komplizierte Modellrechnungen, und daran anknüpfend gibt es bestimmt auch einen Experten in einer Nische seines Instituts, der in Sachen Steueraufkommenswissenschaft forscht. Dies sind komplizierte Themen, und erfreulicherweise kooperieren die Fachgebiete der Wissenschaften nicht nur in der Frage des Glücks, sondern auch in der Frage der Wirtschaft. Für einzelne Experten mag das manchmal die Sache nicht einfacher machen, aber für mich als Laie ist es schön, wenn jemand Fragen stellt, an die ich nicht denke.

Bei den Ethikern, den Philosophen oder Soziologen geht es ja nicht nur um den „Sinn des Lebens“. Verstehen wir alle das Gleiche – etwa unter den Begriffen „Gerechtigkeit“ oder „Verantwortung“? Dort geht es um eine genaue Begriffsdefinition: Was ist eine „gerechte Gesellschaft“? Was also, wenn Ethiker im Feld der Wirtschaftswissenschaften Fragen stellen? Oder gar in der Politik?

Im Bereich der Trainingslehre kann man viele Theorien am eigenen Leib probieren – relativ gefahrlos sogar, außer Muskelkater ist nichts zu befürchten. Bei den Wirtschaftswissenschaften ist das schwieriger. Das Ausprobieren von Wirtschaftstheorien ähnlich wie beim Belastungs- und Erholungsrhythmus ist nicht so einfach wie beim Laufen. Wenn das gesellschaftliche System müde wird, wie Sie nach einer Woche Tempoläufe, dann haben wir ein Problem, nicht nur einen Muskelkater.

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