Die Wahrheit: Rabulöse Enten
Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (40): Enten lieben einerseits das urbane Leben – aber eben auch ihre Freiheit.
Der Spiegel fragte kürzlich den Kurator für Vögel im Yale-Naturkundemuseum Richard Prum: „Unter all den Wundern der Natur hat ausgerechnet der Sex der Enten Ihre Forschung inspiriert. Wieso?“ Den Professor interessierten angeblich die „evolutionären Kräfte“ dabei.
Ich nahm einmal an einer Entprägung von Enten teil, das heißt an ihrer Umprägung von Menschen zurück auf Enten – und das eher ungewollt. An einem Herbsttag entdeckte ich im Bremer Stadtsee zwei frischgeschlüpfte Enten, die wohl zu spät geboren, von der Mutter verlassen und nun verwaist waren. Ich nahm sie mit nach Hause, wo sie im Duschbecken groß wurden.
Im Sommer waren sie mit uns auf dem Land, wo es einen Moorsee gab. Hier machten sie sich langsam selbständig, im Herbst kehrten sie zurück in die Stadt. Im nächsten Sommer nahmen sie Beziehungen zu Wildenten auf – und flogen dann mit diesen fort, kamen jedoch immer wieder zurück zu uns. Es waren zwei Erpel.
Eines Tages flogen sie mit zwei Enten ein. Nun hatten sie das Problem, dass diese im Gegensatz zu ihnen Angst vor uns – Menschen, Hund und Katze – hatten. Zwar zeigten ihnen die Erpel, wie harmlos und zutraulich wir alle waren, aber das überzeugte die beiden wilden Enten nicht. Sie wollten wieder weg von dieser unkomfortablen Nähe zu uns und taten das auch, die Erpel flogen zögernd hinter ihnen her. Zwei, drei Mal kamen sie später noch für einen Kurzbesuch zurück, ohne die beiden Enten, dann blieben sie ganz weg.
Kindern ihr Pausenbrot geklaut
Was wir bedauerten, wird bei Rabenhaltern durchaus begrüßt – von Jens Gruhle zum Beispiel, der hinter dem Berliner Bezirk Tempelhof in zwei Volieren verletzte junge Vögel großzieht, darunter viele Rabenvögel. Wenn sie gesund und flugreif sind, werden sie „ausgewildert“, das heißt: freigelassen. Aber er hat eine zahme schwarze Rabenkrähe, wahrscheinlich ein Weibchen. Man hatte sie in Spandau eingefangen, weil sie sich dort an Schulhöfen aufhielt, wo sie den Kindern ihr Pausenbrot klaute.
Normalerweise leben die schwarzglänzenden Rabenkrähen westlich der Elbe und östlich die grauschwarzen Nebelkrähen. Gruhle wartet nun darauf, dass der NABU Hamburg ihm irgendwann eine männliche Rabenkrähe überlässt. Damit hofft er, dass „seine“ Krähe „ihre Menschenprägung langsam verliert“.
Die Rabenvögel ebenso wie die Enten und viele andere Vögel wollen ihre Freiheit, sind aber insofern Kulturfolger, da sie sich mehr und mehr lieber in den Städten als auf dem Land aufhalten, die Enten gern auf den Seen von Parkanlagen. Hier werden sie gefüttert und im Winter auf vereisten Gewässern auch gerettet, falls sie festfrieren. Im März berichtete die Kölnische Rundschau: „Einer Vielzahl von Helfern und einer beinahe dramatischen Rettungsaktion ist es zu verdanken, dass zwei Erpel wohlauf sind und mit dem Schrecken davongekommen sind. Die Tiere drohten im erstarrenden Wasser der Denklinger Klus festzufrieren.“ In Wisconsin hatte ein Erpel bei einem tragischen Unfall seine Füße eingebüßt – und sollte getötet werden, doch bevor das Tier eingeschläfert wurde, meldete sich jemand, der mit seinem 3D-Drucker zwei Entenfüße hergestellt hatte. Der Erpel gewöhnte sich an die künstlichen Füße und watschelte schon bald mit den anderen Enten herum. Derart umsorgt werden die Entenpopulationen im Stadtraum immer größer.
Rückbau der Entenrutschen
Langsam werden jedoch die Nistplätze für sie knapp, die wenigen Schilfgürtel reichen nicht mehr aus. Immer häufiger brüten Enten deswegen in Balkonkästen auf Hochhäusern oder an ähnlich ungemütlichen Orten. Es sind Nestflüchter, ihre Jungen müssen deswegen gleich nach dem Schlüpfen von dort herunterspringen und dann muss ihre Mutter unten mit ihnen über zum Teil viel befahrene Straßen zum nächsten Gewässer gehen.
Auf vielen städtischen Seen bietet man ihnen zum Brüten sogenannte Entenhäuschen an. Sie heißen nicht nur so, sondern ähneln oft auch Einfamilienhäusern. In Ostdeutschland hat man nach der Wende auf vielen städtischen Seen Entenhäuschen verankert, die von Arbeitslosen auf ABM-Basis hergestellt wurden.
Dies geschah auch in Bremerhaven, der westdeutschen Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Dort gab der „Duck-Watcher“ Burkhard Scherer jedoch zu bedenken, dass dabei noch allzu oft die linke Hand nicht wisse, was die rechte tut. So hätten die entenfreundlichen Maßnahmen dazu geführt, dass diese Vögel sich schnell vermehrten. Man erwog deswegen den Abbau der Entenhäuschen, mindestens den Rückbau der Entenrutschen für die Küken. Der Arbeitssenator schlug das Einsammeln ihrer Eier vor.
Aufzucht der Küken für Erpel kein Thema
Schließlich konnte sich aber die zuständige feministische Abteilungsleiterin im Umweltsenat durchsetzen: Die allein erziehende Mutter hatte beobachtet, dass die Erpel sich überhaupt nicht um die Aufzucht der Küken kümmern und noch dazu den armen Entenmüttern auflauern – um sie zu mehreren zu vergewaltigen, was gelegentlich mit dem Tod der Küken einhergeht. Flugs verfügte sie, nahezu die gesamte Erpelpopulation einzufangen – und zu töten. So geschah es dann auch.
Wobei auch einige Weibchen dabei waren, die nämlich im Alter ein männliches Federkleid bekommen. Auch manche Erpel überlebten: Sie befanden sich gerade in der „Sommermauser“ – und sahen wie die Weibchen aus. Bei der Mauser erfolgt laut der Internetseite der bayrischen Jäger „ein Wechsel ihres Prachtkleids bzw. Brutkleids über das Ruhe- bzw. Schlicht- oder Mauserkleid zurück zum Prachtgefieder“.
„Migrationsvögel“ vom Himmel zu holen?
Die Bremerhavener Erpeljagd ist ein schönes Beispiel dafür, dass man nur das sieht, was man sehen will. Um es mit Nietzsche zu sagen: „Unser ganzer Erkenntnis-Apparat ist nicht auf Erkenntnis gerichtet, sondern auf Bemächtigung der Dinge.“ Erwähnt sei noch, dass beide Enten-Geschlechter einen blauen Fleck auf den Flügeln haben, der schwarz und weiß eingerahmt ist. Dieser sogenannte Spiegel ermöglicht es angeblich den Enten, sich wiederzuerkennen. Wird der Spiegel kurzzeitig abgedeckt, erkennen sich die Entenpaare nicht wieder, behaupten jedenfalls die Entenforscher.
Im Berliner Tierpark Friedrichsfelde hat ein Fuchs Enten, Gänse und Flamingos gerissen, denen man die Flügel gestutzt hat und die deswegen im Gegensatz zu den „wilden Gästen“ im Tierpark nicht wegfliegen konnten. Die Enten mit gestutzten Flügeln ebenso wie die frei lebenden hatten jüngst noch einen anderen Feind: die Vogelgrippe. In den Zoos wurden alle Vögel eingeschlossen, damit sie nicht von möglichen Viren an den Besuchern infiziert werden. Die Entenmäster machen die frei lebenden und ziehenden Vögel für die Seuche verantwortlich, die Vogelliebhaber die industrielle Massentierhaltung – unter anderem von Enten. Und der russischen Regierung schlugen rechte Politiker vor, das Militär anzuweisen, alle „Migrationsvögel“ vom Himmel zu holen: die ganz große Lösung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Demokratie unter Beschuss
Dialektik des Widerstandes
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“