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editorialFrankreich auf der Frankfurter Buchmesse

Freiheit sagen kann jeder. So wie Ich sagen. Doch Freiheit gibt es nur für den, der sie in Anspruch nimmt. Man muss sie erkämpfen, nicht nur verteidigen, bekräftigen und sie immer wieder gegen Konstrukte zurückerobern, die uns vereinnahmen: Rasse, Klasse, Nation. Der Kampf gegen die soziale Gewalt, die in ihrem Namen ausgeübt wird, ist neu entbrannt. In Frankreich, wo ein konservativer Backlash gegen alles, wofür das Datum 1968 stand, mit Sarkozy einsetzte und auch die extreme Rechte institutionell bereits stärker verankert ist als in Deutschland, spürt man das sehr genau.

Es gibt viele Gründe, sich den französischen Gastlandauftritt auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse näher anzuschauen. Vieles, was wir dort zu sehen bekommen, erzählt auch etwas über uns. Auch die offizielle Politik wird eine Rolle spielen. Deutschland wird auf EU-Ebene mehr Zugeständnisse an Frankreich machen müssen, und diese Buchmesse, die jahrelang vorbereitet wurde, ist ein wichtiger Termin, um die oft beschworene deutsch-französische Freundschaft zu bekräftigen, von der man nie so genau weiß, wo sie außer in den offiziösen Reden eigentlich existiert.

Und wie reagieren die Intellektuellen auf die Verunsicherung, von der in Bezug auf Frankreich die Rede ist, wie reagieren sie auf den Abbau des Sozialstaats, die Probleme des Postkolonialismus etc? Viele reagieren wieder konkret auf die Gegenwart. Das war lange anders. Das Erbe des Strukturalismus war so übermächtig, dass die politische Aktualität in der theoretischen und literarischen Produktion völlig vergessen schien. In Paris konnte man häufig Zeuge werden, wie die Leidenschaften in einen Konkurrenzkampf umgeleitet schienen, mit dem man Klatschspalten hätte füllen können. „Er sagt die Unwahrheit“, hieß es immer irgendwann, wenn ein Autor über den anderen redete, es ist einer dieser typischen Sätze, den man nirgends so oft hören kann wie unter französischen Intellektuellen. Doch etwas ist anders geworden. Während rechtsgerichtete Autoren wie etwa Maurice Dantec und Richard Millet in der abgespaltenen Welt von St. Germain salonfähig geworden sind, sind es die Stimmen von Didier Eribon, Edouard Louis, Virginie Despentes oder Annie Ernaux, die außerhalb von Frankreich ein starkes Echo bekommen. Autoren, die von einem Ich erzählen, ohne die Geschichte außen vor zu lassen. Die 77-jährige Annie Ernaux formuliert das so: „Entscheidend scheint mir … dass man nicht allein ist und in einer konkreten Zeit lebt.“

Dass wir eine Zeile aus der kriegerischen Marseillaise für den Titel dieser literataz gewählt haben, heißt nicht, dass wir die Nation feiern. Und kann man Freiheit sagen, ohne Gleichheit zu sagen? Vielleicht einigen wir uns auf Foucault: „Die Garantie der Freiheit ist die Freiheit.“ Tania Martini

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