: Puerto Rico allein im Chaos
Puerto Rico Eine Woche nach den Verwüstungen des Hurrikans „Maria“ herrschen in Puerto Rico grauenvolle Zustände. Hilfe von der US-Regierung kommt nur zögerlich
Von Dorothea Hahn
Bezahlen könnten die Kunden ohnehin nicht, denn die Bargeldautomaten sind längst leer und die Kreditkartengeräte funktionieren nur mit Elektrizität.
In den Krankenhäusern sind die Dialysegeräte ausgefallen und kann keine Chemotherapie verabreicht werden.
Die Rettungstruppen sind immer noch nicht in die abgelegenen Gemeinden vorgedrungen. Überall fehlt es an Benzin, an Leitungswasser, an Telefonverbindungen und an anderen Kommunikationsmitteln. Die meisten der 3,4 Millionen InsulanerInnen haben ihren Angehörigen außerhalb der Insel bis heute nicht sagen können, wie es ihnen geht.
„Maria“:Der Hurrikan, der am 16. September entstanden war und dann zu einem Sturm der höchsten Kategorie 5 erstarkte, war der siebte Hurrikan dieser Saison in der Karibik. Vier davon waren schwer. „Maria“ hat sich inzwischen, nach Auftreffen auf US-Festland, wieder abgeschwächt und ist zurück über dem Atlantik.
Zerstörungen: Auf seinem Weg über die Antillen-Inseln hinterließ „Maria“, wie zuvor schon „Irma“, eine Schneise der Zerstörung. Allein durch „Irma“ kamen mindestens 112 Menschen ums Leben. Besonders von „Maria“ betroffen waren Puerto Rico, Dominica und Guadalupe. „Irma“ hatte besonders in Florida und in den nördlichen Teilen Kubas inklusive Havanna große Zerstörungen angerichtet.
„Es ist die schwerste Katastrophe unserer Geschichte“, sagt Gouverneur Ricardo Rosselló, „sie hat jede Ecke von Puerto Rico getroffen und sie hat unsere Infrastruktur zerstört“. Der Gouverneur bittet um „finanzielle Hilfe“ und darum, dass die Schuldenzahlungen vorübergehend ausgesetzt werden.
Die Bürgermeisterin der Inselhauptstadt San Juan, Carmen Yulin Cruz, berichtet in einem Fernsehinterview mit tränenerstickter Stimme davon, dass Menschen sterben werden, und fleht Washington an, die Entsendung der Helfer zu beschleunigen.
Im Centro Médico sagt Kinderarzt Jorge Mata, dass seine Abteilung noch Diesel für zwei Tage hat. An einer Wasserstelle, an der eine natürliche Quelle sprudelt, und wo Dutzende Menschen mit Eimern warten, erklärt ein Mann, dass er bislang nirgends Hilfe von außen gesehen hat.
Aber Präsident Donald Trump, der in Indianapolis seine Steuerreform vorstellt, schwärmt vor Anhängern von den fabelhaften Leistungen der US-Hilfe. Nennt sie „nie dagewesen“ und „enorm“. Nachdem er Puerto Rico in den ersten fünf Tagen nach „Maria“ in seinen an die 50 Tweets und in seinen öffentlichen Auftritten ignoriert hat, und nachdem er der Insel ihre Schuldenlast und ihre veraltete Infrastruktur vorhielt, als wären die verantwortlich für den Hurrikan, hat der Präsident ganz allmählich seine Position verschoben. Am Mittwoch kündigte er an, dass er am kommenden Dienstag selbst nach Puerto Rico fahren will. Das ist fast zwei Wochen nach dem Hurrikan. Trump begründet die Verspätung damit, dass er die Rettungsarbeiten nicht behindern wolle.
In Washington haben mehrere demokratische Kongressabgeordnete, angeführt von der aus Puerto Rico stammenden New Yorkerin Nydia Velazquez, darauf gedrängt, das „Jones-Gesetz“ auszusetzen. „Dies ist eine humanitäre Krise“, sagt sie, „wir brauchen alle Hilfe die möglich ist.“ Tagelang verweigerte Trump diese Maßnahme – am Donnerstag früh gab er nach und setzte das Gesetz vorübergehend aus.
Das fast ein Jahrhundert alte Jones-Gesetz sieht vor, dass nur Schiffe unter US-Flagge Puerto Rico beliefern dürfen. Waren, die auf Schiffen unter anderer Flagge kommen, müssen erst in Florida anlanden und ihre Ware auf US-Schiffe verladen. Das Gesetz ist einer der Hauptgründe dafür, dass Waren und Dienstleistungen auf Puerto Rico grundsätzlich teurer sind als auf dem Festland – und manchmal den doppelten Preis kosten.
Dabei liegt der Durchschnittsverdienst in Puerto Rico mit 17.000 Dollar pro Haushalt noch weit unter dem des ärmsten US-Bundesstaats Mississippi.
Gegenüber Journalisten hatte Trump seine tagelange Weigerung, das Jones-Gesetz auszusetzen, damit begründet, dass die Schifffahrtsindustrie dagegen sei, weil sie genügend eigene Kapazitäten habe. Doch bis Mittwoch ist nicht einmal das Krankenhausschiff des Militärs, das bis zu 1.000 Patienten aufnehmen kann, in Puerto Rico angekommen. Andere Schiffe sind vor der Insel, aber noch nicht entladen.
Eine Woche nach den Hurrikanen Harvey und Irma hatten andere Regionen in den USA bereits Ziffern über den Geldwert der Zerstörungen. Aber auf Puerto Rico ist nicht einmal bekannt, wie viele Menschen umgekommen sind. Straßen sind unter Erdrutschen verschwunden oder vom Wasser unterspült worden und weit aufgerissen. Zahlreiche Brücken sind eingestürzt.
Und die Stromgesellschaft Prepa muss bei Null anfangen. Fast ihr komplettes Netz – von den Masten, über die Leitungen bis hin zu den Anschlüssen – liegt am Boden.
Meinung + Diskussion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen