Portrait: Der befreite Kolumnist
Wenn Kadri Gürsel in einer Versammlung das Wort ergriff, hörte man ihm zu. Wenn er eine seiner Kolumnen veröffentlichte, wurde der Text in der intellektuellen Szene gelesen. Elf Monate war Kadri Gürsel nun verstummt, weggesperrt im größten Gefängnis Europas, in Silivri bei Istanbul. Seit diesem Montag ist er wieder auf freiem Fuß. Ein türkischer Richter ordnete seine vorläufige Entlassung aus der U-Haft an, obwohl die Vorwürfe einer Verbindung zu einer Terrororganisation aufrechterhalten werden.
Gürsel wurde Ende Oktober letzten Jahres zusammen mit zwölf weiteren Journalisten und Mitarbeitern der Cumhuriyet verhaftet. Seit Ende Juli stehen insgesamt 17 Mitarbeiter der Tageszeitung wegen angeblicher Unterstützung der Gülen-Sekte vor Gericht. Nach der Freilassung von Kadri Gürsel sind immer noch vier von ihnen in Haft. Nach seiner Entlassung merkte Gürsel deshalb an, es könne keinen Grund zur Freude geben, solange noch Kollegen in Haft sind.
Gürsel setzt sich bei der Internationalen Presse Institution (IPI) schon seit Jahren für verfolgte Kollegen ein. Daraus will ihm die Staatsanwaltschaft nun einen Strick drehen, weil sich auch Journalisten ehemaliger Gülen-Medien nach deren Schließung hilfesuchend an Gürsel gewandt hatten.
Gürsel wurde 1995 landesweit bekannt, als er nach einer Recherche im Nordirak von der PKK entführt wurde und erst 26 Tage später wieder frei kam. Danach veröffentlichte er ein Buch, das viel zur Versachlichung der Debatte über die kurdische Frage beitrug. Nachdem Gürsel 2015 bei der Zeitung Milliyet seinen Posten räumen musste, weil er kritisch über ein Attentat auf kurdische Jugendliche berichtet hatte, arbeitete er als freier Kolumnist für Cumhuriyet.
Kadri Gürsel ist 56 Jahre alt. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Jürgen Gottschlich
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