: Auf Mist gebaut
Power Der Ökoenergieanbieter Polarstern überträgt Prinzipien des fairen Handelsauf Strom und Gas. Er hilft Bauern in Kambodscha damit bei ihrer Energiewende
Energiesparmaßnahmen und Einsatz von Erneuerbare-EnergieAnlagen sind bisher Randthema im fairen Handel. Eine Reihe von Kaffeekooperativen, auch Kakaobauern und Produzenten von Cashewäpfeln nutzen Solartrockner, um den Trocknungsvorgang zu beschleunigen, ohne dafür fossile Energien einsetzen zu müssen, berichtet die Gepa. Das sind Folientunnel oder -häuser, in denen das Trockengut auf Gittertischen lagert.
Solaranlagen gibt es seit Kurzem auf den Büro- und Werkstattdächern der Handwerker-Vereinigung ACP in Kathmandu, mit denen die Maschinen betrieben werden. Die Töpfer, Teppichmacher und Schmuckhersteller liefern einen erheblichen Teil ihrer Produkte an die Gepa, ebenso wie der indonesische Kerzenhersteller Wax Industri, der demnächst Sonnenenergie auf dem eigenen Dach einsammelt.
Die Kagera Cooperative Union (KCU) in Tansania verteilt an die Haushalte ihrer 50.000 Mitglieder energieeffiziente Kochstellen. Damit will sie verhindern, dass jedes Jahr Hunderttausende Hektar Wald gerodet werden, um Holzkohle zum Kochen herzustellen. Die simplen Lehmherde speichern die Hitze wesentlich besser und tragen so dazu bei, das Klima zu schonen. Umweltbildung und nachhaltige Produktion werden auch sonst groß geschrieben bei der KCU, berichtet das Fairhandelshaus El Puente, das 2004 einen Biokaffee mit dem tansanischen Produzentenkollektiv entwickelt hat. (aje)
Von Annette Jensen
„Wir wollen die Energiewende voranbringen – und das macht nur weltweit Sinn“, sagt Florian Henle. Zusammen mit zwei Freunden hat er vor sechs Jahren in München das Unternehmen Polarstern gegründet. Das versorgt Kunden bundesweit nicht nur mit Ökostrom, sondern auch mit Ökogas, das zu 100 Prozent aus organischen Abfällen hergestellt wird. Zudem finanzieren die Kunden mit einem jährlichen Beitrag von 20 Euro den Bau von kleinen Biogasanlagen in Kambodscha.
„Wir hatten überlegt, wie sich die Grundideen des fairen Handels in unser Unternehmen integrieren lassen“, berichtet Henle. Dass es keinen Sinn macht, Strom oder Bioabfälle aus dem globalen Süden zu importieren, war klar. Doch Kleinbauern dabei zu helfen, den Dung ihrer Tiere und eventuell auch den Inhalt ihrer Klos zu nutzen, um damit selbst Biogas herzustellen, erschien sinnvoll.
Ein Freund, der beim Wuppertal-Institut arbeitete, hatte den drei Jungunternehmern von einem Projekt in Kambodscha berichtet, das er auditiert hatte und als vorbildlich empfahl. Dort werden hinter den Häusern der künftigen Nutzer Gruben ausgehoben, in die örtliche Handwerker Bioreaktoren aus Ziegelsteinen hineinmauern. In diesen Anlagen sammeln die Familien den Mist, bei dessen Vergärung nutzbares Gas entsteht. Damit können sie nicht nur ihren eigenen Strom erzeugen und ihre Lebensmittel kühlen und auch nach Sonnenuntergang lesen. Das Gas lässt sich auch direkt zum Kochen nutzen. Was nach dem Prozess im Reaktor übrig bleibt, bringen die Bauern als Dünger auf ihre Felder. Intensive Einweisungen der Nutzenden gehören zum Programm.
Das Geld der Polarstern-Kundschaft in Deutschland dient als Anschubfinanzierung und Eigenkapitalnachweis, damit die Familien einen Mikrokredit bekommen können. „Uns war es wichtig, dass wir nicht gönnerhaft irgendwo was hinbauen, sondern auch eine Eigenleistung erbracht wird“, so Henle. Weil es keine Zwischenhändler gibt, die bei der Lieferung der Anlagen mitverdienen, findet die Wertschöpfung vollständig in der Region statt. Etwa 600 Euro kostet die Investition für eine Anlage, die täglich mit etwa 20 Kilogramm Mist gefüttert wird – den Hinterlassenschaften von zwei Kühen oder vier Schweinen. 150 Euro kommen von den Stromkunden aus Deutschland, den Rest müssen die Bauern selbst ansparen oder ein entsprechendes Darlehen nach und nach abstottern.
Die Biogasanlagen sind auf eine Nutzungsdauer von 20 Jahren ausgelegt. Weil die Familien kein Geld mehr für Petroleum ausgeben müssen und durch den Düngereinsatz häufig sogar deutlich höhere Ernten einfahren, amortisieren sich die Investitionen nach wenigen Jahren. Darüber hinaus sparen die Frauen Zeit, weil sie sich nicht mehr um Brennholz zum Kochen kümmern müssen. Auch die Luft in ihren Küchen ist jetzt viel besser.
Entwickelt wurde das Programm ursprünglich von der niederländischen Entwicklungsorganisation SNV zusammen mit der staatlichen Organisation NPB in Kambodscha. Es ist als Klimaschutzprojekt nach dem „Gold Standard“ zertifiziert und genügt damit den strengsten Kriterien. Nach Angaben der NPB-Website wurden bis heute über 25.000 Mikrobiogasanlagen in verschiedenen Provinzen Kambodschas gebaut. Nicht nur Wissenschaftler haben das Projekt begleitet. Auch zwei aus der Polarstern-Crew und mehrere ihrer Kunden sind schon nach Kambodscha gereist, um sich zu überzeugen, dass das Programm den Bauern hilft, ihre eigene Energiewende zu organisieren.
Wie viele Haushalte in Deutschland inzwischen Polarsternstrom oder -gas beziehen, will das Unternehmen nicht sagen. Die Kundenkartei sei inzwischen fünfstellig, die Firma seit 2016 profitabel, versichert Henle. Für jede Kilowattstunde Strom investiert Polarstrom einen Cent in den Bau neuer Wasserkraftanlagen, mit denen Kunden in Deutschland versorgt werden. Und in puncto Biogas ist das Unternehmen sogar Vorreiter. „Die Energiewende fokussierte sich bis vor Kurzem fast vollständig auf den Stromsektor; was dagegen fehlte, war der Wärmebereich“, sagt Henle. Als Polarstrom 2011 auf den Markt kam, gab es bundesweit keinen einzigen Lieferanten, der Gas aus organischen Reststoffen anbot. Die drei Gründer wollten das nicht selbst organisieren, doch um ein entsprechendes Angebot machen zu können, blieb ihnen nichts anderes übrig. So vergärt jetzt eine Zuckerfirma im ungarischen Kaposvár ihre Zelluloserückstände und speist das Gas für die Polarstromkundschaft ins europäische Verbundnetz ein.
Das Öko-Institut verzeichnet Polarstern auf ihrer Internetplattform EcoTopTen für ökologische Spitzenprodukte. Utopia und Robin Wood haben Empfehlungen abgegeben, und das Magazin Ökotest bewertete den Stromanbieter mit „sehr gut“. Bestnoten für ein Unternehmen, dessen Namen für den Anspruch steht, klarer Orientierungspunkt zu sein.
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