: „Alle haben Angst“
PROZESS Im Prozess um den getöteten syrischen Jungen aus der Lüssumer Heide sagte zum ersten Mal ein Zeuge der Gewalttat aus
Zum ersten Mal hat jetzt in dem Prozess um den in der Silvesternacht getöteten 15-jährigen syrischen Geflüchteten Odai K. vor dem Bremer Landgericht ein Zeuge ausgesagt – ein „Zeuge, der vielleicht Täter ist“, erklärte einer der Verteidiger.
Da der schwerverletzte Junge in einem Ladenlokal aufgefunden wurde, in dem jener mit Freunden Silvester gefeiert hatte, könne das nicht ausgeschlossen werden. Die Richterin sollte ihn deswegen auf sein umfassendes Aussageverweigerungsrecht hinweisen.
Der Zeuge Levent U. hatte bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung noch gesagt, er habe von der Tat nichts mitbekommen. Vor Gericht erklärte er, warum er das gesagt hatte: „Wir wussten genau, wer das war, aber alle Bewohner dort in der Lüssumer Heide haben Angst. Die G.s sind eine große kurdische Familie, da hat man automatisch Angst vor diesen Leuten“, sagte er. Er und einer der Angeklagten seien „seit meiner Kindheit Freunde …, nein, waren wir Freunde“, korrigierte er sich. Bis zur Silvesternacht.
U. erklärte, er habe in der Nähe der Tür gestanden, als Odai K. hereingestürzt sei und mehrfach „Bitte, Hilfe“ gerufen habe. Hinterhergekommen sei eine Gruppe von vielleicht vier Männern, vorneweg der Angeklagte Hayettin G. und dessen Bruder Hayat. „Ich ficke euch alle“, habe Hayettin G. gerufen, der außer sich vor Wut gewesen sei.
Der Zeuge gehört zu einer Gruppe von Türken, die in dem Ladenlokal Silvester gefeiert hatten. Sie hätten versucht, berichtete er, die hereinstürmenden Männer zu bremsen und festzuhalten. Der Junge habe in einen Hinterraum flüchten können.
Von hinten, berichtete der Zeuge, habe er dann gesehen, wie die beiden Angeklagten „auf den Jungen gehen“ wollten und zu Schlagbewegungen ausholten. Zwei seiner Freunde hätten die Angreifer umklammert, um die Schläge zu verhindern. Als der Junge kurz darauf am Boden lag, hätten sich die beiden aus dem Raum herausziehen lassen.
Der Gerichtsmediziner schilderte Odai K.s Verletzungen am gestrigen Donnerstag vor dem Landgericht: zahlreiche Brüche im Gesicht, zwei Schädeldach-Basisbrüche. An ihren Folgen, zu denen dann noch eine Lungenentzündung kam, starb der 15-Jährige im Krankenhaus.
Die Angeklagten schweigen bisher über die Hintergründe der Tat. Die mutmaßlichen Täter seien „Yesiden aus dem Umfeld der PKK“, erklärte der Anwalt. Das Opfer stammt aus einer muslimischen Familie. Die Zeugenaussagen sind jetzt entscheidend, weil die Polizei erst neun Tage nach Silvester zur Spurensicherung kam. „Keine besonderen Vorkommnisse in der Silvesternacht“, hatte die Polizei zunächst gemeldet. Im Oktober sollen weitere Zeugen vernommen werden. Kawe
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