Brauchen wir Diesel für Klimaziele?: Hust, hust
Die Regierung preist den Dieselmotor wegen seines niedrigen Verbrauchs als Klimaschützer an. Selbst das Umweltbundesamt widerspricht.
Zwar warf Angela Merkel der Autoindustrie wegen der Diesel-Affäre Vertrauensbruch vor, sie sei wegen der Gefährdung einer Schlüsselindustrie und Tausender Jobs „stinksauer“, sagte die Kanzlerin. Aber: „Wir brauchen den Diesel, um die Klimaschutzziele einzuhalten.“ Von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz folgte kein Widerspruch.
Und auch am Montag beim zweiten Dieselgipfel im Kanzleramt erklärten sowohl SPD-Außenminister Sigmar Gabriel als auch der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, die Dieselmotoren zu Klimarettern. Und auch für den Verband der Automobilindustrie (VDA) ist der Diesel „unverzichtbar für die EU-Ziele zum Klimaschutz“.
Widerspruch kommt jetzt zunehmend von Experten, Umweltgruppen und dem Umweltbundesamt. „Vom Diesel als Klimaretter kann keine Rede sein“, heißt es von der Behörde unter der Regie des Umweltministeriums. „Unsinn“, sagt Verkehrsexperte Peter Mock vom internationalen Umwelt-Forschungsverbund ICCT zu dem Argument, die umstrittene Technik sichere den Klimaschutz.
Und für Gerd Lottsiepen vom Öko-Verkehrsclub VCD hat der Diesel nur beim Vergleich mit gleich großen Benzinmotoren einen Vorteil. „Aber der Aufstieg der spritschluckenden Geländewagen mit ihren großen Motoren ist nur durch den billigen Diesel zu erklären“, so Lottsiepen. Für eine Verkehrswende und die Klimaziele von Paris müssten die Autos aber wieder kleiner werden.
Förderung von Diesel-PKW
Unbestritten ist das technische Potenzial des Dieselmotors. Bei gleicher Motorleistung erzeugt er bisher bis zu 15 Prozent weniger Klimagas CO2 als ein Benzinantrieb. Mit diesem Argument fördert die Bundesregierung seit Jahren die Diesel-Pkws. Für die EU-Klimaziele sei das dringend nötig, sagt Eckehart Rotter vom VDA. „Jeder Prozentpunkt weniger Diesel in der Flotte bringt uns weiter weg von den Klimazielen.“
Genau das passiert gerade: Laut Daten des Kraftfahrtbundesamts (KBA) ist der Anteil der Dieselwagen an den Neuzulassungen seit Anfang 2017 von 45 auf 40 Prozent gesunken – der durchschnittliche CO2-Ausstoß der deutschen Autos steigt gleichzeitig jeden Monat um etwa ein halbes Prozent.
Für das Umweltbundesamt ist der Klimavorteil des Diesels aber nur theoretisch. Denn der geringere Verbrauch werde durch größere Motoren wettgemacht. „2015 lagen die CO2-Emissionen bei Neuzulassungen mit 129 Gramm CO2 bei Diesel und Benzinern gleichauf“, heißt es in einer Umweltbundesamt-Erklärung. „Diesel haben insgesamt keine besseren Werte als Benziner.“ Der gesamte CO2-Ausstoß des Verkehrs ist seit 1990 praktisch nicht gesunken. Die Autos wurden zwar effizienter, fuhren aber mehr – unter dem Strich sinken deshalb die Emissionen nicht, anders als etwa bei den Kraftwerken.
Die Bundesregierung hat in ihrem Klimaschutzplan 2050 zwar festgeschrieben, dass die Abgase aus dem Verkehr bis 2030 um 45 Prozent sinken sollen – aber wie das funktionieren soll, weiß niemand. Einen konkreten Vorschlag hat dazu das Umweltbundesamt gemacht. In einer aktuellen Untersuchung fordert die Behörde schärfere CO2-Werte für Motoren, massive Investitionen in die E-Mobilität, besseres Angebot bei Bus und Bahn und ein Ende für umweltschädliche Subventionen, etwa beim Dieseltreibstoff.
Auch Peter Mock vom ICCT sieht den Diesel nicht als Lösung. Es gebe kaum noch Unterschiede bei den Motoren: „Der neue Golf stößt als Benziner nur ein bis zwei Gramm CO2 mehr aus“, sagt Mock. Dafür sei der Benzinmotor deutlich billiger. Nach einer aktuellen ICCT-Studie könnte ein schneller Umstieg auf Hybrid- und Elektroautos die Klimaziele viel schneller erreichen als der Diesel: Selbst wenn der Anteil der Dieselantriebe EU-weit von fast 50 auf 15 Prozent zurückginge, seien die europäischen Klimaziele zu halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod