Elbphilharmonie-Saisoneröffnung: Niemand entkommt unerkannt
Zur Spielzeit-Eröffnung wurden in der Elbphilharmonie Johann Sebastian Bachs Cello-Suiten getanzt. Das Publikum war ganz unhanseatisch ungeduldig.
Zwei Tage später, am Sonntag, kredenzte Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter dann die „eigentliche Eröffnung“. Wieder wurde das Gala-Publikum in den Großen Saal des Konzerthauses gekarrt, dieses Mal zu einem Event besonderer Art: einer Tanz-Performance zu Johann Sebastian Bachs Cello-Solosuiten, einem technisch anspruchsvollen, spannungsreichen Stück, das als „Vergöttlichung“ des Tanzes gilt. Sehr bewusst bedient sich Bach darin stilisierter alter Hoftänze wie Sarabande und Courante, nach denen die Sätze benannt sind.
Minimalistischer Tanz
Das hat die belgische Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker bewogen, gemeinsam mit dem Cellisten Jean-Guihen Queyras eine Musik-Tanz-Performance zu erarbeiten, bei der fünf Tänzer und Tänzerinnen den Cellisten umkreisen. Für jede Tonart, für jede Stimmung, für laute und leise Passagen hat sich de Keersmaeker eine Tanzfigur ausgedacht. Sie hat Bachs Musik mathematisch durchanalysiert und dazu eine minimalistische Tanzsprache mit extrem begrenztem Formen-Repertoire erfunden.
Diese Finessen des Ende August auf der Ruhrtriennale uraufgeführten Stücks verstand allerdings nur, wer das Programmheft intensiv studiert hatte – und das tut ja nicht jede oder jeder. Hinzu kommt, dass ein Premierenpublikum eher wegen des Events herkommt als wegen der Inhalte. Und wenn doch, dann – im Falle der Elbphilharmonie – wegen klassischer Musik und nicht wegen des modernen Tanzes.
Dabei waren sie gut, die mal Hoftänze imitierenden, mal akrobatischen, mal sich am Boden wälzenden TänzerInnen. Sie schauten gen Himmel, rannten gegen die Balustrade an – hadernd mit den Grenzen der Gattung Mensch, im stummen Disput mit Gott. Das alles solide begleitet vom Cellisten auf der ansonsten kahlen Bühne.
Nur, dass die Suiten recht lang sind, zwei Stunden insgesamt, und dass das manchem Zuschauer zu viel wurde. Und da es keine Pause gab, in der man ganz „legal“ hätte gehen können, passierte der Exodus eben anarchisch: Da erhob man sich bei voller Beleuchtung mitten aus dem Parkett und ging. In den oberen Rängen versuchten welche, im Schutz der Dunkelheit zu fliehen. Aber in der so kommunikativen Arena bleibt nichts verborgen; niemand entkam unerkannt.
Wer doch im Großen Saal blieb, wippte nervös mit dem Fuß oder hustete sich eins. Besonders heikel wurde es, als der Cellist in Suite fünf ganz verstummte, zeitweilig sogar den Saal verließ. Da erscholl von oben ein: „Ich hätte gern die Musik gehört“ in die Stille. Ein recht unhanseatischer Zwischenruf eines einzelnen Herrn, wie er zuletzt anno 2000 im Thalia bei Michael Thalheimers tabuloser „Liliom“-Inszenierung geschah. „Das ist ein anständiges Stück, das muss man doch nicht so spielen!“, hatte Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi da in den Saal gerufen.
Stoisch bis zum Schluss
Und natürlich ließen sich auch die Elbphilharmonie-Performer nicht beeindrucken und machten stoisch weiter bis zum Schluss. Aber dann war auch Feierabend, da gab es schon auch Buh-Rufe in den Applaus hinein. Andere stolperten hastig aus der Sitzreihe, um keine weitere Sekunde Lebenszeit zu verschwenden.
In anderen Worten: Die Provokation ist gelungen, die Elbphilharmonie wurde als Ort des auch tänzerischen Experiments erneut verankert. Eine logische Fortführung von Sasha Waltz’ tänzerischer Vor-Eröffnung des Hauses Anfang Januar. Damals war es eine spielerische Einweihung auf den Gängen. Am Sonntag ging es ins Allerheiligste: mitten auf die Bühne des Großen Saals.
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