: Wiederbelebte Identität
WM-Quali Angeführt von einem überragendem Isco gewinnt Spanien mit 3:0 gegen Italien und scheint unter Trainer Julen Lopetegui mit gepflegtem Überzahlspiel im Mittelfeld endlich den Anschluss an die goldene Ära der Jahre 2008 bis 2012 gefunden zu haben
Aus Madrid Florian Haupt
Dass es sich bei Gian Piero Ventura, 69, um einen Gentleman handelt, wird ihm niemand absprechen. Höflich und ruhig, mit sonorer Stimme und perfekter Spätsommerbräune reflektierte der seit diesem Wochenende älteste italienische Nationaltrainer der Geschichte die derbe 0:3-Niederlage in Madrid gegen Spanien. Geradezu das Herz schien ihm aufzugehen, als er über den Mann des Abends sprach. „Es war wundervoll, ihn mal persönlich spielen zu sehen“, sagte er über Francisco Alarcón, „Isco“ – der mit zwei exquisiten Toren die Italiener in der ersten Halbzeit erledigt, mit Lupfern und Tunneln in der zweiten Halbzeit gar gedemütigt hatte. Wenn man es denn so sehen wollte. Ventura wollte nicht, er blieb fair und generös: „Als Liebhaber technischer Gesten konnte ich nicht anders, als ihm zu applaudieren.“
Darüber hinaus verweigerte sich der „Commissario Tecnico“ aber auch der Gesamtinterpretation, wonach ein Italien „piccola piccola“ (Gazzetta dello Sport), ein ganz kleines also, im Duell der zuvor punktgleichen Gruppenfavoriten nicht nur wohl die direkte WM-Teilnahme verspielt hatte, sondern mit der ersten Niederlage seit 56 Qualifikationspartien zugleich viel vom Ruf des allzeit wettbewerbsfähigen Spitzenteams: „Spanien ist stärker als wir, deswegen sollte uns das nicht umwerfen“, so Ventura. Intern sehen sich die Italiener sowieso als kleine Mannschaft; sie sind ja auch wirklich nicht mit der besten Spielergeneration ihrer Geschichte gesegnet. „Bei den Spaniern haben fast alle schon drei Champions-League-Finals gespielt, bei uns kaum einer“, betonte der Trainer.
Das allerdings war vor gut einem Jahr nicht viel anders, als die Italiener denselben Gegner beim 2:0 im EM-Achtelfinale bissig dominierten. Von dem Feuer unter Vorgänger Antonio Conte war in Madrid wenig zu sehen. Ventura will fußballerische Akzente setzen, er probierte es gar mit einem 4-2-4-System, unerhört offensiv für italienische Verhältnisse. Gegenüber der erwartbaren Kritik verwies er auf den Lernprozess („Damit wir bei der WM überraschen können“) und den Segen einer ausführlichen Vorbereitung: „Zur EM hin wuchs die Mannschaft damals auch an der taktischen Arbeit.“ Den Mythos der Turnierelf beschwören, bevor man überhaupt beim Turnier ist: Auch das war durchaus eigenwillig.
Zur Umkehrung von Machtverhältnissen gehören aber natürlich zwei Seiten. Bereits beim 1:1 im Qualifikations-Hinspiel kurz nach der EM hatte sich angedeutet, dass Spanien unter seinem neuen Trainer Julen Lopetegui wieder vitaler daherkommt. Der Baske hat Identitätszeichen der Erfolgsära zwischen 2008 und 2012 wiederbelebt, ohne sie zur Religion zu erklären. Wie früher bot er sechs Mittelfeldspieler statt eines echten Stürmers auf, doch anders als früher variierte Spanien das Drehbuch und lauerte oft auf Konter. Der Ballbesitz lag bei 51 Prozent und Iscos Treffer, ein – für Gigi Buffon wohl haltbarer – Freistoß sowie ein Flachschuss von der Strafraumgrenze, fielen mit den einzigen Torversuchen der ersten Halbzeit.
Es war einer dieser Abende, an denen alles passte. Vom folkloristischen Dorffest-Pasodoble „Paquito el chocalatero“, der von den Zuschauern im ausverkauften Estadio Santiago Bernabéu vor Spielbeginn inbrünstig betanzt wurde. Über die klare Mehrheit von Anfeuerungen gegenüber Pfiffen bei den Ballkontakten des ungeliebten Katalanen Gerard Piqué. Bis zur sentimentalen Einwechslung von David Villa, Spaniens Rekordtorschützen der goldenen Zeit, nach dreijährigem Exil. „Spanien fährt erste Klasse nach Russland“, jubilierte Marca, „diesmal schlägt das Imperium wirklich zurück“, resümierte As; die ironische Anspielung darauf, dass man das seit der verpatzten WM 2014 schon manches Mal verfrüht behauptet hatte.
Bei nüchterner Betrachtung kann es weiter Zweifel geben, doch fürs Erste überstrahlte sie Isco, der kleine Magier. „Mir ist alles gelungen“, sagte er und analysierte gelöst wie nie die Lage bei Real Madrid, wo er erst dieses Frühjahr, am Ende seiner vierten Saison und nur wegen einer Verletzung von Gareth Bale, einen Stammplatz erobern konnte: „Ich bin keiner von denen, die leicht aufgeben.“ Außerdem auch keiner von denen, die leicht vergessen. Dass ihm Lopetegui, unter dem er 2013 die Junioren-EM gewann, auch in den harten Zeiten immer die Treue hielt, „will ich ihm jedes Mal danken, wenn ich auf den Platz gehe“. Dem Fußball hat Spaniens Nationaltrainer damit ganz sicher einen Gefallen getan. Dem Kollegen Ventura allerdings nur einen bittersüßen.
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