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Kohlekampf auf vielen Wegen

KLIMASCHUTZ Mit Demos und Schienenblockaden wird am Wochenende im Rheinland gegen Kohle protestiert. Die Warnungen vor Gewalt erweisen sich als unbegründet, die Hoffnungen auf gestoppte Kraftwerke ebenso

Aus dem Rheinland P. Hecht, M. Kreutzfeldt, A. Wyputta und L. Braun

Am Samstagnachmittag ist plötzlich viel los im rheinischen Braunkohlerevier: In Kerpen-Manheim nahe der Abbruchkante des Tagebaus Hambach bilden 3.000 Menschen eine symbolische „rote Linie“, um gegen den Kohleabbau zu demonstrieren. Rund um das Kraftwerk Neurath blockieren AktivistInnen vier Zufahrtsstraßen. Auf der Nord-Süd-Kohlebahn, die mehrere Kraftwerke mit Kohle aus dem Tagebau Garzweiler versorgt, sitzen an drei Stellen rund 300 Menschen auf den Gleisen, die Züge können stundenlang nicht fahren. Und etwa 600 weitere AktivistInnen werden auf einem anliegenden Feld von PolizistInnen in einem Kessel gehalten – aus der berechtigten Befürchtung heraus, dass sie es sich sonst auch noch auf den Schienen gemütlich machen könnten.

Es ist das dritte Jahr, in dem die mehr als 40 Gruppen im Bündnis „Ende Gelände“ zu Protestaktionen für einen sofortigen Kohleausstieg und Klimagerechtigkeit aufgerufen haben. Einen neuen Teilnehmerrekord haben sie, anders als erhofft, nicht aufgestellt. Auch die Kraftwerke von RWE sind nicht gestoppt, sondern nur für ein paar Stunden in ihrer Leistung gedrosselt worden. Aber die Vielfalt der Aktionen hat zugenommen – und die TeilnehmerInnen, die aus ganz Europa anreisten, sind zufrieden.

„Es war eine wunderbare kollektive Erfahrung“, sagt eine 28 Jahre alte Demonstrantin aus Großbritannien. Sie sei schon einige Tage vorher im Klimacamp gewesen, habe mehrere Umweltworkshops mitgemacht und schließlich die Schienen blockiert. Auch ein 27-Jähriger, der am Samstag aus dem Polizeikessel auf dem Feld in die Gefangenensammelstelle gebracht wurde und ein geschwollenes Handgelenk und Schmerzen im Nacken von der Räumung davonträgt, reist trotzdem mit gutem Gefühl wieder ab: „Die Aktionen haben total gut funktioniert – und wir haben gezeigt, dass wir uns nicht einschüchtern lassen.“

Unterstützt wird das Bündnis „Ende Gelände“ von BUND, Nabu, Greenpeace und der Klima-Allianz, hinter der allein rund 100 Organisationen stehen. 6.000 Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Spektren haben sich nach Angaben des Bündnisses so insgesamt an den Aktionen am Wochenende beteiligt – damit gehören sie zu den dynamischsten Umweltprotesten, die es in Deutschland seit dem Ende der Castortransporte gegeben hat.

Grüne Politprominenz kommt zur Menschenkette

Zwar wollten die großen Umweltorganisationen keine gemeinsame Sache mit dem Bündnis „Ende Gelände“ und dessen angekündigter Aktionsform des zivilen Ungehorsams machen, inklusive der Besetzung von Baggern, Schienen und Tagebauen. Die Menschenkette aber, an der auch die komplette Grünen-Spitze aus Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt, Simone Peter und Anton Hofreiter sowie Linken-Chefin Katja Kipping am Samstag teilgenommen hat, entspricht deren Zielgruppe eher. Zur Solidaritätserklärung mit „Ende Gelände“ reicht es trotzdem.

Und während viele BewohnerInnen der Region die angekündigten Blockaden eher skeptisch beäugen, sind bei der Menschenkette viele selbst dabei. „Der Braunkohle-Irrsinn mit dieser gigantischen Umweltzerstörung und Klimavernichtung muss gestoppt werden“, sagte Antje Grothus, die in der Nähe wohnt. Sie hoffe, dass die Aktionen ein Signal an die Politik seien: Die sollte endlich auch die Belange von Betroffenen ins Auge fassen, nicht nur die der Konzerne.

Das rheinische Revier, in dem die Aktionen stattfinden, ist die größte Kohlendioxidquelle Europas. Riesige braunschwarze Krater sind wie surreale Mondlandschaften tief in die Landschaft gefräst; mehr als 40 Dörfer haben die bis zu 100 Meter hohen Bagger des Tagebau-Betreibers RWE bereits geschluckt; zwölf weitere sollen noch abgebaggert werden.

Die vier Großkraftwerke Neurath, Niederaußem, Weisweiler und Frimmersdorf bliesen allein 2016 knapp 80 Millionen Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids in die Atmosphäre. Dazu verheizt RWE an jedem einzelnen Tag 250.000 Tonnen Braunkohle, die aus den Tagebauen Garzweiler, Hambach und Inden stammen.

Wie weiter im Kampfgegen die Braunkohle?

Während so manche BewohnerInnen der Braunkohle-Region die angekündigten Schienenblockaden eher skeptisch ­beäugen, sind beider Menschenkette viele selbst dabei

Um die weitere Braunkohlenutzung zu verhindern, gibt es im Rheinland seit Jahren Proteste. Größer wurden sie erstmals im Jahr 2015, als es rund 1.000 weiß gekleidete AktivistInnen in den Tagebau Garzweiler schafften. Drei der sieben Bagger standen stundenlang still. Die Polizei ging damals massiv gegen die Besetzer vor, es gab mehrere Verletzte und 800 Verfahren wegen Hausfriedensbruch. Die meisten wurden später eingestellt wurden, weil das Gelände nicht ausreichend eingezäunt war.

Zwei Jahre später, an diesem Wochenende im August, haben das Unternehmen und die Polizei dazugelernt: Der Tagebau ist besser geschützt, nur kleinen Gruppen gelingt es, ihn kurzfristig zu besetzen. Die Massenaktion steuert diesmal stattdessen die Schienen an, auf denen die Kohle abtransportiert wird. Im offenen Gelände hat die Polizei keine Chance, den Protestzug von 1.200 AktivistInnen in weißen Schutzanzügen aufzuhalten – was einige BeamtInnen nicht davon abhält, es mit dem Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray trotzdem zu versuchen.

Als ein Teil der AktivistInnen schließlich auf den Schienen sitzt und andere ein Stück weiter eingekesselt sind, beruhigt sich die Lage. Eine Sambaband sorgt für Musik, die Polizei lässt zu, dass die BlockiererInnen von HelferInnen mit Wasser und Pizza versorgt werden. Nach über sechs Stunden Blockade werden sie von den Schienen getragen und mit der RWE-eigenen Bahn abtransportiert.

Noch am Abend aber kommen alle wieder frei, und auch ein Großteil der unterhalb der Schienen Festgehaltenen darf schließlich ohne Kontrolle gehen. Und die Aussage, mit der der Einsatzleiter sie auf den Weg schickt, dürfte den AktivistInnen gefallen haben: „Wir gehen jetzt in Richtung Windräder“, sagte er ins Megafon. „Nicht Richtung Kraftwerke.“

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